Ohne Erleuchtung ist jede Regel wertlos
Obwohl die Entsprechungen in Swedenborgs Werk einen zentralen
Platz einnehmen, hat es der Meister versäumt, ein Lehrbuch der Entsprechungskunde
zu schreiben. Ansätze dazu existieren durchaus. Sie fallen aber in
die Zeit vor der Erleuchtung. Im Jahre 1741 zum Beispiel schrieb Swedenborg
eine Abhandlung mit dem merkwürdigen Titel "Hieroglyphischer Schlüssel
zu den natürlichen und geistigen Geheimnissen mittels Vorbildungen
und Entsprechungen". Darin formulierte er Regeln der Entsprechungskunde,
was zeigt, daß der Wissentschaftler Swedenborg den Schlüssel
zu den natürlichen und geistigen Geheimnissen in einem Regelwerk
suchte.
Erst dem Seher Swedenborg wird klar, daß ohne Erleuchtung die
Entsprechungen zwischen Materie und Geist nicht erkannt werden können.
Er schreibt deswegen: "Niemand kann den geistigen Sinn anders, als allein
durch den Herrn wahrnehmen, und nur dann, wenn er im echten Wahren aus
ihm ist." (LS 26). Es muß merkwürdig erscheinen, daß
Swedenborg, der doch gerade der Offenbarer des geistigen Sinnes ist, mit
diesen Worten seine Offenbarungstätigkeit selbst wieder einschränkt.
Demnach sind in den Bibelkommentaren Swedenborgs die inneren Wahrheiten
einesteils offenbart, andernteils bleiben sie nach wie vor dem verborgen,
der nicht "im echten Wahren aus der Herrn ist." Wie dieser Widerspruch
lösbar ist, geht aus der folgenden Bemerkung hervor: "Der Zusammenhang
[der Wahrheiten des inneren Sinnes] kann aus der Erklärung der einzelnen
Wörter nicht hervorleuchten. Denn sie erscheinen [bei der Wort-für-Wort-Erklärung|
als etwas Abgehacktes, und der zusammenhängende Sinn verliert sich.
Dies ist freilich nich der Fall, wenn man alles zugleich als einheitliche
Vorstellung anschaut oder man es als einheitliches, intuitiv erfaßtes
Gedankenbild wahrnimmt, wie es bei denen geschieht, die im inneren Sinn
und zugleich im himmlischen Licht vom Herrn sind." (HG 2343b). Die großen
Bibelkommentare sind zwar eine Augensalbe, aber im Grunde genommen bleibt
es dabei: Die Wahrheit wird im Geiste erkannt. Wer den inneren Sinn wirklich
verstanden hat, muß aus den Wort-für-Wort-Erklärungen
Swedenborgs eigenständig ein einheitliches Ganzes formen können.
Wer hierbei stottert oder Wortunsinn produziert hat die Wahrheit nicht
gesehen.
Wenn es bei Swedenborg eine Theorie der Entsprechungskunde gibt, dann
ist es die Gradlehre in dem Werk "Die Göttliche Liebe und Weisheit".
Dort erfahren wir aber, daß sich die Entsprechungen dem bloßen
Gehirndenken nicht erschließen. Vielmehr werden die höheren
Grade der Erkenntnis nur durch die Tätigkeit nach dem Worte Gottes
aufgeschlossen: "Der Mensch kommt bei seiner Geburt zuerst in den natürlichen
Grad. Dieser wächst kontinuierlich durch Kenntnisse und den dadurch
erworbenen Verstand bis zur höchsten Stufe, Vernunft genannt. Dadurch
wird jedoch der zweite oder geistige Grad noch nicht aufgeschlossen. Das
geschieht erst durch die Liebe zum Nutzenschaffen aus einem Verständnis
heraus, aber wohlgemerkt durch eine geistige Liebe zum Nutzenschaffen,
d.h. durch die Liebe zum Nächsten. Auch dieser Grad kann kontinuierlich
bis zu seiner höchsten Stufe wachsen, und zwar durch Erkenntnisse
des Wahren und Guten, d.h. durch geistige Wahrheiten. Dadurch wird jedoch
der dritte oder himmlische Grad noch nicht aufgeschlossen. Das geschieht
erst durch die himmlische Liebe zum Nutzenschaffen, d.h. durch die Liebe
zum Herrn." (GLW 237). Die höheren Erkenntnisgrade sind Lebensgrade!
Sie bleiben dem kalten Gehirndenken verborgen. Verbindet es sich aber
mit der Wärme des Herzens, dann öffnet sich dem Geiste die reiche
Welt der Entsprechungen. Hierbei wird der geistige Grad durch die geistige
Liebe (Nächstenliebe bzw. Liebtätigkeit) und der himmlische
Grad durch die himmliche Liebe geöffnet. Ohne Fortschritte in der
Wiedergeburt bleibt dem bloßen Kopfdenker die Schatzkammer des Geistes
ewig verschlossen. Mühsam tastet er sich mit dem Blindenstab der
Logik voran und findet doch nur hier und da ein Körnchen Wahrheit
von geringem Nährwert. Die Grundregel der Entsprechungskunde lautet
daher: Der äußere Mensch muß eine Entsprechung des inneren
Menschen werden, dann wird er verstehen, was Entsprechungen sind. Bloße
Verstandesakrobatik muß in der heiligen Gottesgelehrsamkeit Schiffbruch
erleiden.
Diese Gedanken zeigen, daß Regeln der Entsprechungskunde nur einen
beschränkten Wert haben. Dennoch ist die Kenntnis derselben nicht
nutzlos. Wie die folgende Übersicht zeigt, ist auch der Seher Swedenborg
im Besitz gewisser Regeln. Zwar hat er sie nie systematisch zusammengestellt,
aber dennoch gebraucht er sie ständig. Die Kenntnis der Regeln nimmt
in der Entsprechungsdeutung den Platz ein, den die Kenntnis der Muttersprache
bei einem Schriftsteller einnimmt. Zwar ist die Sprache nicht alles, aber
ohne die Sprache ist alles nichts. Ebensowenig können nackte Entsprechungsregeln
das geistige Licht ersetzen; wenn dieses Licht aber vorhanden ist, dann
kann es durch die Technik der Entsprechungskunde in eine vollendete Form
gebracht werden; ähnlich einem Diamanten, der erst durch den Brillantschliff
zu einem Lichtfeuer wird.
Das gesamte Universum ist in der Seele verborgen. Daher korrespondieren
die Erscheinungen der Außenwelt mit den entsprechenden Realitäten
in der Innenwelt. Doch mit welchen Realitäten? Die beiden folgenden
Abschnitte enthalten die Antwort unter den Überschriften: 1.) Die
Korrespondenz besteht zunächst mit dem Gefühl. 2.) Der innere
Sinn ist die Vorstellungswelt der Engel.
Die Korrespondenz besteht zunächst mit dem Gefühl
Das Originalwort Swedenborgs für "Entsprechung" lautet "correspondentia".
Es beschreibt den Zusammenhang zwischen den Welten. Diesen Zusammenhang
kann Swedenborg auch als "communicatio per correspondentias" (HH 207),
also als eine Form der Kommunikation bezeichnen. Daher ließe sich
"correspondentia" gut mit "Korrespondenz" übersetzen, wenn der Leser
darunter mehr als einen "Briefwechsel" verstünde. "Correspondentia"
hat eine aktive Komponente, die bei der Übersetzung mit "Entsprechung"
leider verloren geht. Das kann der Leser selbst überprüfen.
Besteht nicht ein Unterschied zwischen den Aussagen "Die natürliche
Welt entspricht der geistigen" und "Die natürliche Welt korrespondiert
mit der geistigen"? Die erste Ausage beschreibt einen Zustand, die zweite
einen Vorgang. Das ist bei der Lektüre des Originallateins genauso.
Die "correspondentia" ist ein aktives Wechselverhältnis.
Dieses Wechselverhältnis besteht zwischen der natürlichen
und der geistigen Welt, weswegen Swedenborg "correspondentia" folgendermaßen
definiert: "Die ganze natürliche Welt korrespondiert mit der geistigen,
weswegen alles, was in der natürlichen Welt aus der geistigen entsteht,
eine korrespondierende [Erscheinung] genannt wird. Man muß [nämlich]
wissen, daß die natürliche Welt aus der geistigen entsteht
und besteht, ganz so wie die Wirkung aus ihrer bewirkenden Ursache." (HH
89). Diese Definition betont das Aktive in "correspondentia". Denn sie
setzt bei der Entstehung der einen Welt aus der anderen an. Weil die eine
Welt aus der anderen entsteht, "korrespondieren" die Welten miteinander.
Und weil nur gleichartige Partner korrespondieren können, "entsprechen"
die Welten einander. Beide Aspekte sollten gesehen werden. Deutlich werden
in der Definition aber auch die beiden Partner der Korrespondenz: die
natürliche und die geistige Welt. Seit Swedenborg kann man wissen,
daß die natürliche und die geistige Welt nicht so sehr außerhalb,
sondern vielmehr innerhalb des Menschen anzutreffen sind. Der Mensch selbst
ist ein kleines Universium, bestehend aus "Himmel und Erde" (Gen 1.1).
Daher korrespondieren sein Äußeres und sein Inneres ständig
miteinander. Die Außenbilder erwecken die "entsprechenden" Innenbilder,
durch deren Anschauung der Geist zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen
kann. Die Wahrheit selbst kann freilich nicht von außen eingeführt
werden, denn dann wäre jeder Mensch mit zwei gesunden Augen weise,
sondern sie ruht im Geiste und wartet auf ihre Entdeckung. Sie ist der
"Schatz im Acker" der Seele (Mt 13.44). Auch die Ereignisse draußen
korrespondieren, und zwar mit den Stimmungen in der Seele. Wem ist nicht
das Gefühl bei einer Waldwanderung vertraut?! Oder bei einem Spaziergang
am Meeresstrand?! Wer kennt die Stimmung nicht, die ihn beim Anblick des
Sternenhimmels befällt?! Findet da nicht eine lelendige Korrespondenz
des Innenlebens mit den Außenereignissen statt?! Der nüchterne
Weltbürger wird solche Stimmungen für Anwandlungen eines Schwarmgeistes
halten. Der Tieferdenkende hingegen macht sich auf die Suche nach der
korrespondierenden Erscheinung im eigenen Geistesuniversium. Könnte
der Sternenhimmel nicht mit der unendlichen Tiefe des eigenen Geistes
korrespondieren?! Könnte das sonderbare Gefühl nicht ein nächtlicher
Lockruf sein, die Tiefen des inneren Universums zu erforschen?! In den
Gefühlen sind bereits Ahnungen enthalten, die jedoch erst noch zu
klaren Vorstellungen reifen müssen. Die Zwiesprache des Geistes mit
seiner stofflichen Umgebung ist vorläufig nur wenigen bewußt.
Sie findet aber ständig statt und heißt "Korrespondenz".
Auch die Erzählungen der Heiligen Schrift korrespondiern mit Vorgängen
im Menschen. Die Korrespondenz geschieht durch das gefühlsmäßige
Angesprochensein. Deswegen kann Swedenborg schreiben: "Des innere Sinn
ist von der Art, daß allein schon das Gefühl (ipsa affectio),
das in den Worten [der Heiligen Schrift] verborgen ist, den inneren Sinn
bestimmt (constituit)." (HG 1492). Je nach der Reinheit des inneren Erlebens
versteht man mehr oder weniger vom inneren Sinn, denn "das Leben des Herrn
fließt durch den inneren Sinn in den Buchstabensinn ein in Übereinstimmung
mit dem Gefühl des Lesers." (HG 2311). Reine Gefühlswelten können
die himmlische Botschaft rein aufnehmen; unreine Gefühlswelten verkehren
den himmlischen Inhalt mehr oder weniger. Deswegen ist es wichtig, himmlisch
empfinden zu lernen. Primär geschieht die Korrespondenz des Gotteswortes
mit der Seele also durch das Gefühl, in zweiter Linie dann aber auch
durch das Erfassen der Vorstellung des inneren Sinnes. Beide Wege müssen
gesehen werden. Bei Swedenborg liest sich das so: "In den Einzelheiten
des Wortes ist sowohl ein Gefühl als auch eine Sache enthalten. Jene,
die das Wort im inneren Sinn nach dem Gefühl wahrnehmen, achten überhaupt
nicht auf die Worte, denn die gehören zum Sachbereich, sondern bilden
sich ihre Vorstellungen aus den Gefühlen und deren Verknüpfung."
(HG 2157). Oder an einer anderen Stelle: "Im inneren Sinn des Wortes ist
zweierlei enthalten: Geistiges und Himmlisches. Das Geistige besteht darin,
daß die Sachverhalte, denen der buchstäbliche Sinn nur als
Träger (objecto) dient, unabhängig (abstracte) vom Buchstaben
aufgefaßt werden ... Das Himmlische besteht darin, daß man
allein die Gefühlsseite (affectio) dessen wahrnimmt, was im inneren
Sinn vorkommt." (HG 2275).
Der Bibelleser kann die Wahrnehmung der Gefühlsseite eines Textes
selbst üben. Dazu zwei Beispiele.
Nach dem Mord an Ahbel spricht der Herr zu Kain: "Wo ist dein Bruder
Ahbel? Worauf Kain entgegnet: "Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter
meines Bruders?" Wer erkent die emotionale Bewegung in diesem Text nicht?
Die Frage "Wo ist dein Bruder Ahbel?" erkundigt sich weder nach dem Aufenthaltsort
Ahbels noch zeigt sie Unkenntnis Gottes über den wahren Sachverhalt
an. Wie jeder nachempfinden kann, korrespondiert sie mit dem mulmigen
Gefühl nach vollbrachter Untat. Die "Frage" bezeichnet emotional
betrachtet das beklemmende Gefühl im Angesichte des Frevels; ein
Gefühl, das den behaglichen Frieden der Sünde empfindlich stört.
Entsprechend emotioal ist die Entgegnung Kains: "Ich weiß es nicht.
Bin ich der Hüter meines Brudrs?" Sie drückt Unwillen, Entrüstung,
ja, zornige Auflehnung aus. Diesen emotionalen Kontext gilt es zu beachten,
wenn man im zweiten Schritt die Vorstellungen des inneren Sinnes erkennen
will. Kain bezeichnet das Glaubensdenken, das sich der Liebesbindung (Ahbel)
entledigen will. Angesprochen sind die Orthodoxen, die Anbeter der "reinen
Lehre", denen die Notwendigkeit des brüderlichen Miteinanders zunehmend
lästig wird und die daher bereit sind, die brüderliche Liebe
auf dem Altar der Rechtgläubigkeit zu schlachten. Sie fühlen
sich in ihrem Eigendünkel nur noch für die Reinhaltung der Lehre
zuständig und vergessen darüber ihren Bruder Ahbel. In ihrem
Geiste sprechen sie: Was habe ich mit Ahbel zu schaffen? Bin ich der Hüter
meines Bruders?
Betrachten wir zum Schluß Abrahams Fürbitte für den
Gerechten in Sodom (Gen 18.23-33). Bekanntlich bittet er den Herrn, er
möge Sodom verschonen, wenn 50 Gerechte darin gefunden werden. Nach
der Zusage bittet Abraham für 45 Gerechte, dann für 40, 30,
20 und schließlich nur noch für 10 Gerechte. Jedesmal erhält
er die Zusage. Betrachten wir nun die Bitten Abrahams genauer. Er beginnt
mit den Worten: "Wirst Du auch den Gerechten mit dem Gottlosen vertilgen?
Es möchten vielleicht fünfzig Gerechte sein inmitten der Stadt.
Wirst Du dennoch vertilgen und nicht verschonen den Ort um der fünfzig
Gerechten willen, die in seiner Mitte sind? Es sei ferne von Dir, so zu
tun, sterben zu lassen den Gerechten mit dem Gottlosen, und daß
so der Gerechte sei wie der Gottlose. Ferne sei es von Dir. Wird der Richter
der ganzen Erde nicht Recht üben?" Die zweite Bitte beginnt mit den
Worten: "Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu meinem Herrn zu reden,
wiewohl ich Staub und Asche bin." Die dritte Bitte lautet: "Vielleicht
möchten vierzig darin gefunden werden." Die vierte Bitte beginnt
mit den Worten: "Möchte doch mein Herr nicht zürnen, daß
ich Rede." Die fünfte Bitte beginnt mit den Worten: "Ach siehe, ich
habe mich unterwunden, mit meinem Herrn zu reden." Und schließlich
die sechste Bitte: "Möchte doch mein Herr nicht zürnen, daß
ich nur noch diesmal rede." Allen Bitten gemeinsam ist das Gefühl
der Unterwürfigkeit. Das Gespräch beginnt nicht mit einer Forderung,
sondern mit einer vorsichtig formulierten Frage. Einsicht in den eigenen
Zustand ("wiewohl ich Staub und Asche bin") und Zurückhaltung kennzeichnen
die emotionale Haltung des Bittenden gegenüber dem höchsten
Gottwesen. Auf der anderen Seite fällt das gefühlsmäßige
Engagement des Bittenden für die Bewohner der Stadt auf. Er erkennt
zwar, das seine Bitten an die Grenze des Vertretbaren gehen ("Möchte
doch mein Herr nicht zürnen"), fühlt sich aber denoch getrieben
das Ungebührliche vorzutragen. Schmerz um die Lage der Bedrängten
erfüllt sein Herz und zugleich tiefes Mitgefühl aus Liebe und
Barmherzigkeit. Wer diese Stimmungslage aus dem Text wahrgenommem hat,
wird in dem Bittenden leicht unseren Erlöser erkennen, den die Not
der Menschheit nicht kalt läßt, der sich vielmehr getrieben
fühlt auch noch den letzten Hoffnungsschimmer in Rettung umzumünzen.
Tatsächlich behandelt unser Text das Eintreten des Herrn für
das menschliche Geschlecht.
Der innere Sinn ist die Vorstellungswelt der Engel
Fragt man, was der innere Sinn sei, dann diene als Antwort: Der
innere Sinn ist die Vorstellungswelt der Engel. Denn: "Der innere Sinn
ist das Wort des Herrn in den Himmeln." (HG 1887). Oder: "Die Engel des
geistigen Reiches befinden sich im geistigen Sinn des Wortes; die des
himmlischen Reiches in seinem himmlischen Sinn." (LS 63). Die Kunst, Gottes
Wort zu verstehen, besteht demnach darin, seine Ohren für die Stimme
der Engel zu öffnen. Während der Mensch das Wort liest, sind
Engel gegenwärtig, die mit den Menschen kommunizieren: "Wenn der
Mensch das Wort liest", "dann ruft der geistige Engel das Geistige und
der himmlische Engel das Himmlische hervor." (LS 65). Die Stimme der Engel
bleibt freilich unhörbar, wenn man nicht selbst ein Engel wird. Mit
seinem ganzen Wesen - Verstand und Wille muß man danach trachten,
das Engelhafte zu verwirklichen. Dann öffnet man sich für die
Weisheit der Engel und hört ihre Worte. Zwar bleibt man als Mensch
der natürlichen Welt bis an sein Lebensende im natürlichen Grad,
aber die geistige Stufe des Verstehens ist erschlossen,wenn man das Verständnis
des Wahren tatsächlich lebt (vgl. LS 68). Wer auf diese Weise sein
Inneres öffnet, der bekommt Ohren, mit denen er hören kann und
hört die Stimme der Engel, sprich: den inneren Sinn des Wortes.
Die Welt der Engel ist der natürlichen Welt sehr ähnlich.
Die Gegenstände, die den Engeln in den Himmeln erscheinen, "gleichen
großenteils den Dingen auf Erden, nur ist ihre Form vollkommener
und ihre Menge größer." (HH 171). Und dennoch ist die Welt
der Engel ganz anders! Sie hat einen "geistigen Ursprung", "während
die Menschen in der Welt natürlich sind, und alles bei ihnen einen
natürlichen Ursprung hat." (LS 70). Die Welt der Engel ist eine Vorstellungswelt.
Die Gegenstände ihrer Welt sind "Vorbildungen" und "Erscheinungen"
(HH 175); sie sind Gegenstand gewordene Bedeutungen. Die Welt der Engel
existiert nicht unabhängig vom Engel, wie wir es von der materiellen
Welt gewohnt sind. Die Materiewelt existiert auch ohne unser Zutun (vielleicht
sogar besser); die Welt des Geistes nicht. Ähnlich wie die Traumwelt
auch nur dann produziert werden kann, wenn eine Seele träumt, braucht
die geistige Welt einen sie erzeugenden Geist, denn sie ist ja nichts
anderes als die geistige Welt dieses Geistes. Die Objekte dieser Welt
"entstehen samt und sonders aus dem Herrn, gemäß den Entsprechungen
mit dem Inneren der Engel." (HH 173). Deswegen ist die geistige Welt ein
Spiegel des Geistes, der sich diese Welt "ausgedacht" hat: "Der Engel
sieht (zwar ebenso wie der Mensch) Gegenstände um sich herum, aber
er weiß, daß sie Vergegenständlichungen (repraesentationes)
seiner selbst sind. Ja, wenn das Innerste seines Verständnisses geöffnet
wird, erkennt er sich und sieht sein Bild in den Gegenständen fast
so wie in einem Spiegel." (GLW 63). Die Welt eines Engels ist durch und
durch subjektiv (= von einem Subjekt abhängig); objektiv im naturwissenschaftlich
exakten Sinn ist sie auf keinen Fall; "real", "wahr", und "unwandelbar"
ist sie nur insoweit als der Geist am Herrn, der die Wahrheit selbst ist,
Anteil hat. Wenn die jenseitige Seele nur in einem sehr lockeren Verband
mit dem Gottesgeist steht, dann kann es passieren, daß sich die
"Vorbildungen" und "Erscheinungen" der geistigen Welt dieser unreifen
Seele im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auflösen, denn ohne den
Herrn hat nichts Bestand. In der Engelswelt ist alles Gestalt gewordene
Bedeutung. Eine Blumenwiese "bedeutet" in diesem Sinne die lieblichen
Gedanken, die der Engel jetzt oder einst gedacht hat. Sie wären schlichtweg
nicht da, wenn der Engel niemals lieblich gedacht hätte. Nichts ist
einfach nur Sache, Gegenstand oder Objekt. Alles Äußere meint
Inneres. Die Welt des Engels ist die Summe all seinen Gedanken, die er
je gedacht, und all seiner Taten, die er je verwirklicht hat.
Dieses Weltverständnis wendet der Engel wie selbstverständlich
auf die Darstellungen der Heiligen Schrift an. Daß dabei alles Historische
belanglos wird, dürfe nun klar sein. Der Entsprechungsinterpret sollte
dieses Weltverständnis wenigstens in seinen Grundzügen kennen.
Vielleicht fällt es ihm dann leichter, die Heilige Schrift mit den
Augen eines Engels zu lesen.
Aus dem Gesagten folgt auch, daß bei der Übertragung in den
inneren Sinn von allen Eigentümlichkeiten der Natur abgesehen werden
muß, insbesondere von Raum und Zeit: "Zeiten und Räume gehören
bloß zur Natur. Wenn daher der Buchstabensinn des Wortes von der
Natur in den Himmel übergeht, verschwindet die natürliche Vorstellung
jener Dinge ganz und wird zu einer geistigen Vorstellung, die jenen Dingen
entspricht." (HG 2837). Vor den Engeln verschwindet jegliche Vorstellung
von Materie, Raum und Zeit. Stattdessen denken sie in Kategorien von Zustand
und Wandlung. (nach HG 488). Gleiches gilt für Zahlenangaben, Maße
und Personen.
Abschließend ein Beispiel dafür, wie die geistigen Engel
den geistigen und die himmlischen Engel den himmlischen Sinn herausziehen:
Zum Gebot "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren" erklärt
Swedenborg: "Der Mensch versteht unter 'Vater' und 'Mutter' den Vater
und die Mutter auf Erden, sowie alle, welche die Stelle des Vaters und
der Mutter vertreten. Unter 'ehren' versteht er: sie in Ehren halten und
ihnen gehorchen. Der geistige Engel hingegen versteht unter 'Vater' den
Herrn und unter 'Mutter' die Kirche. Unter 'ehren' versteht er: lieben.
Der himmlische Engel schließlich versteht unter 'Vater' die göttliche
Liebe des Herrn und unter 'Mutter' seine göttliche Weisheit und unter
'ehren' das Gute aus dem Herrn tun." (LS 67). Selbstverständlich
wird der äußere Sinn durch den inneren Sinn nicht aufgehoben.
Die Fassade eines Hauses hört ja auch nicht auf zu existieren, wenn
man das Innere des Hauses betritt. Ja, man kann überhaupt in das
Innere eines Hauses nur dann gelangen, wenn man durch das Äußere
hindurchgeht. Ebenso findet den inneren Sinn nur derjenige, der den äußeren
Sinn verwirklicht. Wer dann den inneren Sinn gefunden hat, hat freilich
mehr, als die Fassade vermuten ließ. Und dennoch gilt auch jetzt
noch, daß das Innere eines Gebäudes ohne das Äußere
schlecht denkbar wäre. Die äußeren Vorstellungen sind
die Perlentore, die der Entsprechungsjünger durchschreiten muß,
wenn er das Innere des Tempels erschauen will.
Das Tor zum Himmel ist dein Herz. Wer diese Wahrheit verschmäht,
wird den Licht- und Lebenssinn der Heiligen Schrift nie erahnen, geschweige
denn finden. Wir wollen nun die Höhen der Entsprechungskunde verlassen
und uns den Niederungen der mehr methodischen Textdeutung zuwenden. Zunächst
widmen wir uns der Themenkunde, dann der Symbolkunde. Die erste Frage
lautet also: Wie findet man das Thema des inneren Sinnes einer ganz bestimmten
Textstelle? Dazu einige Hinweise unter den Überschriften: 1.) Die
Themen des inneren Sinnes sind der Herr und sein Reich. 2.) Das Thema
einer Schriftstelle geht aus dem Zusammenhang hervor (Kontextregel). 3.)
Ein Exkurs: Die Aussage muß dem Thema angepaßt werden.
Die Themen des inneren Sinnes sind der Herr und sein Reich
Wer einen Text in einer fremden Sprache liest, empfindet es als
Hilfe, wenn er schon vor der Lektüre ungefähr weiß, wovon
im Text die Rede sein wird. Fehlen ihm dann Vokabel- und Grammatikkenntnisse,
dann kann er dennoch den Zusammenhang einigermaßen erfassen. Die
Entsprechungssprache ist für den modernen Menschen eine solche Fremdsprache.
Deswegen will ich dem Anfänger eine Übersicht der Themen geben,
die im inneren Sinn behandelt werden. Mit dieser Liste kann er jeden beliebigen
Bibeltext einem Thema des inneren Sinnes zuordnen. zwar reicht dieses
Zuordnungsverfahren allein nicht zur Entzifferung des inneren Sinnes aus,
aber kombiniert mit weiteren Methoden kann es eine Hilfe sein.
Im Grunde kennt das Wort Gottes nur ein Thema: Jesus Christus. Denn
er ist das Wort selbst (Joh 1.1-18). Geistig betrachtet sind das Schriftwort
und das fleischgewordene oder lebendige Wort ein und dasselbe. Auch das
Alte Testament ist in diesem Sinne christlich, denn sein Ursprung ist
ebenfalls das Wort, das am Anfang bei Gott war und später Fleisch
wurde. Der Christusbezug des Alten Testaments ist keineswegs auf jene
paar Zitate beschränkt, die im Neuen Testament als Schriftbeweis
verwendet werden. Da nun das schriftliche Wort Gottes mit dem lebendigen
Wort Gottes identisch ist, ist Jesus Christus allein das große Thema
der gesamten Heiligen Schrift.
Dieses Thema zieht ein zweites nach sich: das Reich Gottes oder die
Verwirklichung des Wortes in der Seele. Stationen dieses Themas sind:
die Verheißungen in den Vätergeschichten, die Befreiung aus
der ägyptischen Gefangenschaft, die Landnahme, das davidisch-salomonische
Großreich, die Zeit der Reichsteilung, das messianische Reich der
Propheten, die Reich-Gottes-Idee Jesu, das Neue Jerusalem des Apokalyptikers.
Der innere Sinn all dieser Geschichten ist Herrschaft Gottes in der Seele.
Der Herr und sein Reich, das sind die beiden zentralen Themen des inneren
Sinnes. Bei Swedenborg liest sich das so: "Im inneren Sinn des Wortes
wird das ganze Leben des Herrn in der Welt beschrieben." (HG 2523). "Im
inneren Sinn werden alle Lebenszustände des Herrn in der Welt beschrieben,
wie er damals sein Menschliches göttlich machte." (HG 7014). Der
innere Sinn handelt "vom Herrn, seinem Reich und der Kirche, folglich
vom Guten und Wahren" (HG 4923. auch: HG 49, 155, 1247, 2953) oder "von
der Verbindung des Herrn mit dem Himmel [Engel] und von der Aufnahme seines
Göttlichen in ihr Menschliches" (HG 2249). Diese Themendualität
schlüsselt Swedenborg noch weiter auf. In dem Werk "Gedrängte
Erklärung" (S. 121f) findet man eine 17 Punkte umfassende Themenliste,
die Swedenborg mit den Worten einleitet: "Im Wort des Alten Testamentse
beziehen sich alle prophetischen und historischen [Bücher] sowie
die Psalmen Davids auf folgende 17 Punkte zurück." Es handelt sich
um eine vollständige Liste. Da deren Sprache allerdings sehr "theologisch"
ist und die nur stichwortartig formulierten Punkte das Verständnis
zusätzlich erschweren, biete ich neben dem Original eine eigene Formulierung
an, die den Bezug der 17 Punkte zum Wiedergeburtsprozeß verdeutlichen
soll.
1. |
Die Ankunft des Herrn. |
Das erwachende Bewußtsein der Seele von der göttlichen
Liebe und Weisheit als Lebensmöglichkeit in ihr. |
2. |
Die allmähliche Verwüstung der Kirche |
Das allmähliche Erlöschen der Wahrheit im Bewußtsein
des äußeren Menschen. |
3. |
Die gänzlich verwüstete Kirche und ihre Verwerfung.
|
Das totale Erlöschen der Wahrheit im Bewußtsein
des äußeren Menschen und seine Hinwendung zum Bösen
und Falschen als Lebensprinzipien. |
4. |
Die Verwerfung des Herrn von Seiten der Kirche. |
Die Verwerfung der göttlichen Liebe und Weisheit
durch den äußeren Menschen. |
5. |
Die Versuchungen des Herrn im allgemeinen. |
Die Anfechtung des inneren Menschen durch den äußeren. |
6. |
Seine bis zur Verzweiflung gehenden Versuchungen. |
Die völlig hoffnungslose Lage des inneren Menschen
angesichts der gewaltsamen Durchsetzung der Interessen des äußeren
Menschen. |
7. |
Die Kämpfe des Herrn mit den Höllen. |
Die Kämpfe des inneren Menschen gegen das Böse
und Falsche im äußeren Menschen. |
8. |
Seinen Sieg über sie bzw. ihre Unterjochung. |
Der Sieg des inneren Menschen über das Böse
und Falsche im äußeren Menschen und dessen Unterordnung
unter den Liebewillen des inneren Menschen. |
9. |
Das Leiden am Kreuz (die letzte Versuchung). |
Die härtesten Anfeindungen gegen die allumfassende
Gottesliebe im innersten Menschen. |
10. |
Die Verherrlichung des Menschlichen des Herrn bzw. seine
Vereinigung mit dem Göttlichen. |
Der Prozeß der Wiedergeburt bzw. die Verbindung
des äußeren Menschen mit dem inneren. |
11. |
Die neue Kirche anstelle der früheren. |
Das vergeistigte Verständnis der Wahrheit anstelle
des bloß äußeren Wissens. |
12. |
Die neue Kirche und zugleich den neuen Himmel. |
Das vergeistigte Verständnis der Wahrheit und die
dementsprechende Liebe zum göttlichen Urwesen in Jesus Christus.
|
13. |
Die Erniedrigung des Herrn vor dem Vater. |
Der innere Mensch als Aufnahmeorgan der himmlischen
Liebe (die echte Demut). |
14. |
Zustand der Vereinigung mit seinem Göttlichen. |
Der Zustand der Wiedergeburt. |
15. |
Das von ihm gehaltene letzte Gericht. |
Die letzte Entscheidung der Seele für oder gegen
den göttlichen Einfluß. |
16. |
Lobpreisung und Verehrung des Herrn. |
Die himmlische Seligkeit durch die tätige Umsetzung
der göttlichen Liebe und Weisheit. |
17. |
Die Erlösung und Seligmachung durch den Herrn. |
Die Befreiung vom Egoismus und die Seligmachung durch
das unerschütterliche Vertrauen auf die Macht der göttlichen
Liebe und Weisheit. |
Abschließend zwei Beispiele. Wer kennt nicht die Erzählung
von Jericho, deren Mauern durch den Schall der Posaunen zum Einsturz gebracht
wurden (Jos 6)? Wie jeder sehen kann, ist von einem gewaltigen Sieg die
Rede. Also versuchen wir es mit Punkt 8: Der Sieg über das Höllische.
Mit dieser Einordnung gewinnen wir die Umrißlinien des inneren Sinnes:
Jericho muß etwas Höllisches bezeichnen. Nun gilt es, sich
vom Allgemeinen zum Besonderen vorzutasten. Dazu benötigen wir freilich
Methoden, die wir noch nicht kennen. Hier bietet sich der Blick auf den
Zusammenhang an (Kontextregel). Das Ereignis findet zu Beginn der Landnahme
statt. Die Überwindung Jerichos ist somit ein fundamentaler Akt auf
dem Weg zur Wiedergeburt. Den Feinschliff der Deutung muß die Symbolkunde
besorgen. Mit deren Techniken müssen wir die Bedeutungen von Stadt,
Mauer und Posaune klären. So gelangen wir schließlich zur Enthüllung
des inneren Sinnes: Die Mauern von Jericho bezeichnen das schier unüberwindliche
Bollwerk der Selbstrechtfertigungen, welche die eigenen egoistischen Interessen
schützen sollen. Die Posaunen hingegen bezeichnen die Kraft der Wahrheitserkenntnis
aus dem göttlichen Wort. Wer diesen Posaunenschall in sein geistiges
Ohr dringen läßt, erlebt den Zusammenbruch seiner bis dahin
unerschütterlichen Überzeugungen.
Betrachten wir schließlich die Opferung Isaaks (Gen 22. 1-19).
Hier gibt bereits die Einleitung den entscheidenen Zuordnungshinweis:
"Nach diesen Dingen geschah es, daß Gott Abraham versuchte". Demnach
kommen nur die Punkte 5, 6 oder 9 in Betracht, die von Versuchungen handeln.
Punkt 5 scheidet aus, weil er zu allgemein ist. Übrig bleiben die
Punkte 6 und 9, in jedem Fall schwere Versuchungen. Weiterführend
ist die Wahrnehmung der emotionalen Gestimmtheit des Textes. Isaak ist
der Sohn der Verheißung, den Abraham innigst liebt. Die Forderung
Gottes: "Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak.
. . und opfere ihn" muß Abraham unsäglichen Schmerz bereiten.
Der Sohn der Verheißung ist das Menschliche, durch das sich Gott
ältesten Prophezeiungen zufolge (vgl. HG 2818) in die Welt senden
wollte. Dieses Menschliche ist Jesus von Nazareth. Unser Text handelt
daher von der Bereitschaft Jesu alles bloß Menschliche völlig
aufzuopfern, um das Göttlich-Menschliche anziehen zu können.
Diese Bereitschaft führte ihn bis ans Kreuz. Auch davon handelt unser
Text.
Das Thema einer Schriftstelle geht aus dem Zusammenhang hervor
Die Entzifferung des inneren Sinnes gleicht zuweilen der Arbeit
eines Altertumswissenschaftlers an einem halbzerstörten Textfund.
Manche Partien sind gut erhalten, andere weniger gut, einiges fehlt ganz.
Eines aber steht fest: Ursprünglich war der jetzt so verstümmelte
Text ein sinnvolles Ganzes. Daher lassen sich die Lücken teilweise
wieder schließen, zumal wenn man die Gattung des Textes kennt (z.B.
Kriegsbericht) und den Inhalt einigermaßen erahnen kann.
Mit der Erforschung des inneren Sinnes verhält es sich ähnlich.
Zwar ist Gottes Wort äußerlich betrachtet lückenlos überliefert,
aber schriebe man seine Kenntnis des inneren Sinnes nieder, so wäre
der Text wahrlich sehr lückenhaft. Deswegen müssen wir das Unbekannte
aus dem Bekannten erschließen. Das ist möglich, weil für
den inneren Sinn noch mehr als für den äußeren gilt: er
ist ein zusammenhängendes Ganzes (HG 2654). Denn die Wahrheiten werden
mehr und mehr eins, je tiefer man sie versteht.
Das Teil wird aus dem Ganzen erkannt. Diese Regel, Kontextregel genannt,
verwendet auch Swedenborg hin und wieder. Das zeigen beiläufige Bemerkungen,
wie "aus dem Vorhergehenden und dem Nachfolgenden läßt sich
ersehen" (HG 270) und "aus der Sachfolge erhellt" (HG 2816). Im inneren
Sinn ergibt sich das nachfolgende Thema notwendig aus dem vorangegangenen:
"Der innere Sinn ist von der Art, daß er ständig auf das Folgende
und den Schluß blickt." (HG 1318).
Ein Beispiel. Angenommen ihnen ist die Bedeutung Davids bekannt und
sie wollen die Salomos, seines Thronfolgers, erschließen. Die Bedeutung
Davids muß ihnen aber wirklich bekannt sein, denn irgendeinen Anknüpfungspunkt
benötigt die Kontextregel. Bildlich gesprochen: Einen Rock mit Löchern
kann man stopfen. Besteht aber der Rock nur aus Löchern, dann kann
man ihn nicht stopfen, weil er schlichtweg nicht vorhanden ist. Der Rock
bezeichnet die Kenntnis der Wahrheit. Ihnen ist also die Bedeutung Davids
wohlvertraut. Er bezeichnet den Messias, was selbst Leuten, die den inneren
Sinn leugnen offensichtlich sein muß, wenn sie Jeremia 30.9, Hosea
3.5 oderEzechiel 34.23f lesen. Salomo ist dann ganz einfach der nächstfolgende
Zustand des Messias. Dieser ergibt sich beinahe von selbst, wenn man den
ersten Zustand, dargestellt durch David, kennt. Der Name "David", abgeleitet
aus der hebräischen Wurzel "dwd", bedeutet "Geliebter" oder "Liebling".
David wird daher als ein Mann nach dem Herzen Jahwes eingeführt (1.Sam
13.14). "Herz" bedeutet bekanntlich Liebe. Demgegenüber fällt
auf, daß Salomo vor allem wegen seiner Weisheit gerühmt wird
(vgl. das salomonische Urteil 1.Kön 3.16-28 und 1.Kön 5.9-14).
Wir sind also auf einen Liebe-Weisheit-Dualismus gestoßen. Das allein
sagt freilich noch nicht so viel, denn - wie wir noch sehen werden - überall
im Wort besteht eine "Ehe des Guten und Wahren". Wir müssen noch
genauer bestimmen. David ist der Mann des Kampfes. Sprechend ist sein
Kampf mit Goliath geworden, aber auch sei Aufstieg unter der beständigen
Anfeindung durch Saul. Zudem lehrt uns ein Blick in den Psalter, daß
die Davidpsalmen, nämlich 3 bis 41 und 51 bis 72, überwiegend
Klagen enthalten. Es fällt daher nicht schwer in David den menschgewordenen
Messiaskönig vor seiner Verherrlichung zu erkennen. Bekanntlich kämpfte
der Herr, solange er in der Welt war, gegen die Höllen und besiegte
sie. (WCR 116). Wenn David der Herr vor seiner Verherrlichung ist, dann
ist Salomo der Herr nach seiner Verherrlichung. Salomo ist der triumphierende
Herr nach Tod und Auferstehung und das Weiterwirken des Herrn in der Kirche
aller Völker. Swedenborg bestätigt uns diese Ansicht: "David
stellt den in die Welt kommenden Herrn dar und Salomo den Herrn nach seiner
Ankunft. Und weil der Herr nach der Verherrlichung seines Menschlichen
Gewalt über Himmel und Erde hatte, deswegen erschien sein Darsteller,
Salomo, in Pracht und Herrlichung und war in der Weisheit, über allen
Königen der Erde, und baute auch den Tempel. Überdies erlaubte
er die gottesdienstlichen Kulte mehrerer Völker und führte sie
ein, wodurch die verschiedenen Religionen in der Welt dargestellt wurden."
(GV 245).
Die Aussage muß dem Gegenstand angepaßt werden
Wenn die Themenkunde behandelt wird, dann muß kurz davon
die Rede sein, daß die Aussage immer themenbezogen bzw. dem Gegenstand
angepaßt sein muß. Das ist eigentlich klar, wenn man zunächst
an Subjekt und Prädikat im syntaktischen Sinne denkt. Der Wind weht,
das Meer wogt und die Wälder rauschen. Das kann man sagen. Problematisch
ist schon: "Der Wind singt ein Lied." Zwar kann der Wind nicht singen,
aber in den Ohren eines Poeten kann er es vielleicht doch. Unsinnig ist
hingegen die Aussage: "Der Wind rennt durch die Felder". Möglich
ist nur: "Der Wind fegt oder pfeift über die Felder hinweg". Das
Prädikat folgt also dem Subjekt.
Schon in dem eingangs erwähnten "Hieroglypischen Schlüssel"
unterscheidet Swedenborg drei Klassen - später wird er von Graden
reden - und fordert, daß die Gegenstände der verschiedenen
Klassen "durch andere, einer jeden Klasse eigentümliche Begriffe
ausgedrückt werden." Diese Regel beachtet er auch in seinem religiösen
Werk sehr genau: "Die Beschaffenheit des Gegenstandes bestimmt die Beschaffenheit
der Aussage." (HG 721). "Aus dem Gegenstand folgt die Aussage." (HG 386).
"Die Dinge verhalten sich ganz so wie ihre Gegenstände, denn den
Gegenständen gehören sie an, weil sie aus ihnen hervorgegangen
sind," (HG 801). Ebenso anderswo: HG 103, 568, 650 usw.
Dieser Regel folgend erklärt Swedenborg meist nur den inneren Sinn
der Nomina, nicht der Verben. Ein Blick in die "Himmlischen Geheimnisse"
kann jeden davon überzeugen. Die Anwendung der Regel ist aber nicht
nur auf die Subjekte und Objekte im grammatischen Sinne beschränkt.
Selbstverständlich meint Swedenborg auch die satzübergreifenden
Gegenstände eines ganzen Sachzusammenhangs. So ordnet er dem himmlischen
Menschen andere Begriffe zu als dem geistigen. Adäquate Ausagen für
den himmlischen Menschen sind Liebe (amor), Weisheit (sapientia) und Innewerdung
oder Wahrnehmung (perceptio). Vom geistigen Menschen hingegen kann man
nur Liebtätigkeit (Charitas), Einsicht (intelligentia) und Bewußtsein
oder Gewissen (Conscientia) aussagen. Dementsprechend bezeichnen die Bäume
im Garten Eden (Gen 2.9) Innewerdungen, "weil vom himmlischen Menschen
gehandelt wird." (HG 103). Wäre vom geistigen Menschen die Rede,
dann würden Bäume Erkenntnisse bedeuten, "weil der Mensch der
geistigen Kirche nur Wahrnehmungen durch die Erkenntnisse aus der Lehre
oder dem Wort hat." (HG 2722). Also keine unmittelbare Wahrnehmung der
Wahrheit. Somit kann man streng genommen von einer Wahrnehmung der Wahrheit
beim geistigen Menschen nicht sprechen. Deswegen gibt es bei ihnen so
viele Dispute. Oder zum Stichwort "Same der Schlange" im Sündenfallbericht
(Gen 3.15) bemerkt Swedenborg: "Der Same ist das Hervorbringende und das
Hervorgebrachte oder das Erzeugende und das Gezeugte und da hier von der
Kirche gehandelt wird, ist es der Unglaube." (HG 254). Immer wieder verweist
Swedenborg auf den in Rede stehenden Gegenstand und wählt die angemessenste
Ausdrucksweise.
Nach der Themenkunde nun die Symbolkunde. Wie erschließen sich
mir die Bilder und Begriffe der Heiligen Schrift? Ich habe die Antwort
in vier Abschnitte unterteilt: 1. Die Heilige Schrift erklärt sich
selbst. 2. Die Nutzwirkung ist der geistige Sinn. 3. Jedes Symbol hat
positive und negative Bedeutung. 4. Die Bilder der Alltagssprache als
Fundgrube der Entprechungskunde.
Die Heilige Schrift erklärt sich selbst
Schon Luther meinte, die Heilige Schrift sei "ihr eigener Ausleger".
Das gilt auch für den inneren Sinn. Denn die geistige Bedeutung eines
Wortes findet man, wenn man mehrere Stellen auswertet, die dieses Wort
enthalten. Meist findet man sogar einige Stellen, die den geistigen Sinn
dieses Wortes besonders leicht erkennen lassen.
Dazu zwei Beispiele. Das Schwert bedeutet das kämpfende Wahre,
denn im Psalter heißt es: "Gürte, du Held, dein Schwert um
die Hüfte; kleide dich in Hoheit und Herrlichkeit! Zieh aus mit Glück,
kämpfe für Wahrheit und Recht!" (Ps 45.4-5). Wir beobachten
die Verknüpfung des Schwertes mit dem Kampf für Wahrheit und
Recht. Das Schwert ist das Mittel des Kampfes. Wie heißt dieses
Mittel? Wer es noch nicht weiß, kann es der folgenden Stelle relativ
leicht entnehmen: "Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als
ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt.
Er macht meinen Mund zu einem scharfen Schwert" (Jes 49.1-2). Da aus einem
Mund noch nie ein scharfes Schwert gekommen ist, wohl aber ein scharfes
Wort, d.h. ein kämpfendes, ein streitbares, ein argumentierendes
Wort, muß das Schwert aus dem Mund ein solches Wort bezeichnen,
somit Argumente im Kampf für Wahrheit und Recht. Ganz ähnlich
lauten Aussprüche der Johannesoffenbarung. Aus dem Mund dessen, der
auf dem weißen Pferd saß, "kam ein scharfes Schwert". (Offb
19.15; ebenso 1.16 und 2. 16). Auch hier bezeichnet das Schwert aus dem
Mund selbstverständlich die Wahrheit. Wir erhalten sogar noch einen
Hinweis, der selbst Blinden die Augen öffnen muß. Denn der
auf dem weißen Pferd Sitzende ist "das Wort Gottes" (Offb 19.13).
In der johanneischen Sprache ist damit eindeutig Jesus Christus gemeint
(vgl. den Prolog des Johannesevangeliums). Das Schwert Christi aber ist
die Wahrheit.
Als weiteres Beispiel diene der Berg. Berge bezeichnen die erhabenen
Zustände der Liebe zu Gott; Hügel bezeichnen die Liebe zum Nächsten.
Berge und Hügel sind somit auch Bilder für den Himmel, denn
das Himmlische des Himmels ist die Liebe. Schon geringe geistige Einsicht
reicht aus, um diese Bedeutung aus den folgenden Worten der Heiligen Schrift
entnehmen zu können: "Die Berge werden dem Volk Frieden bringen und
Gerechtigkeit die Hügel." (Ps 72.3). Da Berge und Hügel weder
Frieden noch Gerechtigkeit bringen können, ist hier entweder kompletter
Unsinn ausgesagt oder ein Bild verwendet. Sicherlich kennen sie das Gefühl
tiefen Friedens, das sich bei einer Bergwanderung einstellen kann, wenn
sie die Tiefen der Welt überwunden haben, ihr Blick frei geworden
ist und sie die Unendlichkeit der Schöpfung Gottes schauen können.
Nur eine Frage müssen sie sich beantworten und sie haben das Bild
des Berges enthüllt: Was verleiht ihnen das Gefühl des Friedens,
des Geborgenseins und der Gerechtigkeit? Ist es nicht die Liebe und das
Geliebtwerden? Auch bei Ezechiel finden wir eine Stelle, die den inneren
Sinn nur leicht verhüllt darreicht: "Auf dem Berge meiner Heiligkeit,
auf dem Berg der Höhe Israels, spricht der Herr Jehovah, allda wird
dienen mir das ganze Haus Israels, sie alle im Lande." (Ez 20.40). Hier
müssen sie lediglich die Frage beantworten, wo der wahre Gottesdienst
stattfindet? Die Antwort ist die Enthüllung des Bildes. Die samarische
Frau am Jakobsbrunnen - eine Szene aus dem Johannesevangelium - stellt
diese Frage: "Unsere Väter haben auf diesen Berg [Garizim] Gott angebetet;
ihr [Juden] aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten
muß." Darauf antwortet Jesus: "Glaube mir, Frau, die Stunde kommt,
zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet
... die Stunde kommt, und sie ist [in meiner Person] schon da, zu der
die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit;
denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist, und alle, die
ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten." Die Alternative
eines äußeren Ortes - Garizim oder Jerusalem - stellt sich
für Jesus, den lebendigen Tempel Gottes (Joh 2.21), nicht. Er verweist
auf die innere Anbetung im Geist der Liebe und in der Wahrheit des Glaubens.
Der Brauch, Gottesdienste auf Bergen zu feiern, kann somit nur ein Sinnbild
sein für den inneren Gottesdienst der Erhebung der Seele zum Herrn.
Der Berg ist diese innere Erhebung.
Oft reicht also eine Bibelkonkordanz aus, um den inneren Sinn finden
zu können. Die Zusammenschau von Stellen aus verschiedenen Büchern
der Heiligen Schrift, somit aus verschiedenen Jahrhunderten, mag im Lichte
der historisch-kritischen Methode sehr bedenklich sein, denn gleiche Worte
können zu verschiedenen Zeiten verschiedene Bedeutungen haben. Dieser
Einwand ist jedoch bei der Suche nach dem inneren, und somit überzeitlichen
Sinn belanglos, denn im inneren Sinn haben die Worte eine "konstante Bedeutung"
(HG 2333). Sie haben - wie Swedenborg betont - "immer die gleiche" "innere
Bedeutung", "sowohl in der historischen als auch in den prophetischen
Büchern, obwohl sie von verschiedenen Verfassern und zu unterschiedlichen
Zeiten geschrieben wurden." (HG 2607). Diese Aussage zeigt, daß
Swedenborg die historische Fragestellung durchaus kennt, obwohl die historische
Bibelwissenschaft damals erst begann, andererseits ist sie für die
Wissenschaft der Entsprechungen nebensächlich. Die Feststellung,
daß die Wörter eine "konstante Bedeutung" haben, ist auch deswegen
wichtig, weil sie jenen das Schwert aus der Hand nimmt, die behaupten,
die Entsprechungswissentschaft sei ein Rückfall in die allegorischen
Willkürauslegungen vergangener Zeiten. Wenn den Bildern und Worten
der Heiligen Schrift eine konstante Grundbedeutung innewohnt, kann von
exegetischem Wildwuchs keine Rede sein.
Die Nutzwirkung ist der geistige Sinn
Die Idee der Nutzwirkungen nimmt in Swedenborgs Theologie einen zentralen
Platz ein. Sie läßt sich auch auf das Studium der Entsprechungen
anwenden, denn die Gegenwart des Geistes in der Materie ist der Nutzen.
Daher ist er der geistige Sinn einer materiellen Erscheinung. Diese These
läßt sich leicht veranschaulichen, wenn man zunächst Produkte
betrachtet, die der menschliche Geist erzeugt hat. Die kunstvoll verarbeitete
Materie einer Schreibmaschine ist keineswegs nur ein Haufen Metall, sondern
Träger eines Sinnes, einer geistigen Struktur, die ursprünglich
- ledig aller Materie - im Geiste des Erfinders ruhte. Erst allmählich
fand das Gedankenbild durch geeignete Materialien der Außenwelt
einen "entsprechenden" Ausdruck. Was ist nun das Geistige des Tastenwunders
"Schreibmaschine"? Es ist weder die Form, noch das Gewicht oder die Farbe
oder ähnliches; die Gegenwart des Geistes in der Form ist die Funktion
oder der Nutzen, den die Schreibmaschine verrichten kann. Er besteht darin,
Texte zu schreiben. Dieser Nutzen ist zwar in der ganzen Form, ja in jeder
Schraube enthalten, und doch nirgends greifbar. Ein Affe sieht nur das
Metallgebilde; den innewohnenden Nutzen sieht er nicht. Nur der Geist
erkennt das Seinige in der Form. Deswegen sagten wir ganz zu Beginn unserer
Ausführungen, daß ohne Erleuchtung alle Entsprechungsregeln
wertlos sind. Nur der Geist Gottes erkennt das Seinige im an sich toten
Buchstaben, und in der Folge derjenige Geist, der am Urgeiste Gottes Anteil
hat.
Was ich hier nun sehr handgreiflich dargestellt habe, bringt auch Swedenborg
zum Ausdruck: "Der Einfluß des Himmels geht in die Funktionen und
Nutzwirkungen der Glieder ein. Weil die Nutzwirkungen aus der geistigen
Welt stammen, nehmen sie durch die Stoffe der natürlichen Welt eine
Form an, durch die sie wirken. Daher rührt das Entsprechungsverhältnis."
(HH 96). Die Nutzwirkungen stammen aus der geistigen Welt, sind also das
Geistige in der Materie. Sie begründen das Entsprechungsverhältnis.
Zwar ist in der natürlichen Welt alles natürlich und in der
geistigen alles geistig, aber die gleichartige Funktionalität der
Erscheinungen hier und dort verbindet das an sich Getrennte: "Dinge, die
einander entsprechen, sind auf gleiche Weise tätig mit dem Unterschied,
daß das eine natürlich, das andere geistig ist." (GLW 399).
"Die Entsprechung der natürlichen mit den geistigen Dingen oder der
Welt mit dem Himmel wird durch Nutzwirkungen hervorgerufen." (HH 112).
Die Schreibmaschine ist ein simples Beispiel. Wer den inneren Sinn der
Naturerscheinungen verstehen will, muß seine Gemütskräfte
schon mehr anstrengen. Wer beim Anblick eines Gartens nur den Garten an
sich beachtet, bleibt beim Augenschein stehen. Wer den Garten aber zum
Anlaß nimmt, über Höheres nachzudenken, wandelt auf den
Spuren des geistigen Sinnes. Man kann die Früchte des Gartens betrachten,
sodann an den Lebensgenuß denken, den der Garten schenkt, und schließlich
im Garten ein Bild der himmlischen Seligkeit erblicken. Und schon versteht
man, wieso die Heilige Schrift von einem Garten in Eden spricht (vgl.
HG 2143). Oder wieso Jesaja schreiben kann: "Der Herr wird dich immer
führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt
deine Glieder. Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle,
deren Wasser niemals versiegt." (Jes 58.11). Die ganze Kunst der Deutung
besteht darin, die höheren Empfindungsebenen seines Gemüts zu
öffnen.
Die Naturwissenschaften sind eine Vorbereitung auf die Entsprechungswissenschaft,
denn je gründlicher man die natürliche Beschaffenheit kennt,
desto eher findet man die Entsprechung. Deswegen spielt Ägypten -
das Reich der Wissenschaften - in der Entwicklung Israels eine zentrale
Rolle. Auch Swedenborg kam durch die Wissenschaften zu den Entsprechungen.
Später nannte er die natürlichen Wahrheiten das Fundament oder
die Gefäße der geistigen Erkenntnis. Auch unser Zeitalter der
Naturwissenschaft dürfte eine Vorstufe des kommenden Zeitalters der
geistigen Erkenntnis sein.
Gelegentlich kann man beobachten, wie Swedenborg den inneren Sinn eines
Begriffes mittels der Nutzwirkungen oder wesentlichen Eigenschaften aufschließt:
"Das Brot bezeichnet das Himmlische, weil Brot allgemein alle Speise und
somit im inneren Sinn alle himmlische Speise bezeichnet." (HG 2165). Das
Brot ist Inbegriff der Speise - man denke an "Unser täglich Brot"
oder "Brot für die Welt" - und daher im inneren Sinn dasjenige, was
die Engel ernährt, also die Liebe des Herrn. "Die Lehre heißt
'Ackerboden' aufgrund des Samens ... weil der Ackerboden die Lehre ist,
deswegen wird auch jeder, der einen Samen des Glaubens aufnimmt, 'Ackerboden'
genannt." (HG 368). Der Ackerboben ist dasjenige, was den Samen aufnimmt
und aufschließt. "Der Same ist das Wort Gottes." (Lk 8.11). Daher
ist zunächst die Lehre, d.h. die systematische Aufbereitung des Wortes
Gottes, der Ackerboden, denn jede Lehre versucht, das Wort Gottes aufzunehmen
und begreifbar zu machen. Im weiteren Sinne ist dann der Mensch ein Ackerboden.
"Das Angesicht bezeichnete bei den Alten das Innere, weil durch das Angesicht
das Innere hervorleuchtet." (HG 358). Im Angesicht zeigt sich das innere
Wesen eines Menschen am unmittelbarsten. Daher heißt es im Priestersegen.
"Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht
leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht
auf dich und gebe dir Frieden." (Num 6.24-26). "Der Fuß ist das
Natürliche. Der Schuh das, was die Fußsohle und Ferse bekleidet,
daher das noch weiter unten befindliche Natürliche, somit das eigentlich
Körperliche." (aus HG 2162 und 1748). "Die Kleidung bezeichnet das
Wahre, weil das Wahre das Gute umgibt." (HG 2425). Das Wahre ist lediglich
eine Funktion des Guten oder - wie Swedenborg sagt - "die Form des Guten"
(HH 107). Es bekleidet das Gute lediglich. Daher die Kleidervorschriften
der Heiligen Schrift und daher die Redeweise "ein Amt bekleiden". Die
Sterne sind die Erkenntnisse des Guten und Wahren bei den Geistigen, weil
die Sterne die Nacht erleuchten und die Geistigen verglichen mit den Himmlischen
nur ein nächtliches Licht haben. (nach HG 2849). "Weg wird im Wort
von den Wahrheiten ausgesagt, weil sie zum Guten führen oder aus
dem Guten hervorgehen," (HG 2234). "Nachteulen und Raben bezeichnen grobe
und dichte Falschheiten; Nachteulen, weil sie in der Finsternis der Nacht
leben; Raben, weil sie von schwarzer Farbe sind." (HG 866). "Die Berge
sind die erhabensten Stellen der Erde. Deswegen bezeichnen Berge das Himmlische,
welches auch das Höchste heißt. Im entgegengesetzten Sinn heißen
im Wort solche Leute Berge, welche hochmütig sind, somit die Selbstliebe.
Auch die Urkirche wird im Wort durch Berge bezeichnet, weil sie über
die Erde emporgehoben und daher gewissermaßen dem Himmel, dem Ursprung
aller Dinge, näher sind." (HG 795). Das Wesentliche des Berges ist
seine Erhabenheit über alles Irdisch-Niedrige. "Wenn aus dem äußeren
Sinn der innere wird, verliert sich zuerst die Vorstellung des Berges,
und zurück bleibt die Vorstellung von Erhabenheit, wodurch Heiligkeit
veranschaulicht wird." (HG 1430). "Die Höhle ist eine Wohnung auf
dem Berg, aber eine dunkle. Und weil Wohnungen jeglicher Art Gutes bedeuten,
so bezeichnet die Höhle als dunkle Wohnung das dunkle Gute wie es
in den Versuchungen ist." (HG 2463).
Auch Bräuche, die mit bestimmten Gegenständen verbunden sind,
können Aufschluß über den inneren Sinn geben: "Steine
bezeichnen das Wahre, weil die Grenzen (termini: Grenzbestimmungen) der
ältesten Menschen durch Steine kenntlich gemacht wurden und weil
sie Steine als Zeugen aufrichteten." (HG 1298). Noch heute sind viele
Denkmäler aus Stein.
Auf diese Weise kann man auch die innere Bedeutung von Personen und
Orten der Heiligen Schrift ermitteln. Die "Nutzwirkungen" der biblischen
Personen sind ihre wesentlichen Handlungen und die der biblischen Ortschaften
sind die wesentlichen Vorfälle, die dort geschehen sind. Mose ist
derjenige, der Israel aus Ägypten geführt hat und dem Volk am
Sinai die Weisung Gottes übergab. Daher bezeichnet er die erlösende
Macht des göttlichen Gebotes. Babel oder Babylon ist der Ort der
großen Sprachverwirrung, bezeichnet daher die Perversion der göttlichen
Lehre und ist das Zerrbild Jerusalems, der Lehre Gottes.
Jedes Symbol hat positive und negative Bedeutung
Die Symbole haben einen positiven und negativen Sinn je nach Kontext,
einen, wie Swedenborg sagt, "echten (genuinus) und entgegengesetzten Sinn"
(HG 1142, 1154, 2455 usw.). In dem Ausspruch Christi "Ihr seid das Salz
der Erde" (Mt 5.13) bedeutet Salz etwas Positives, denn angesprochen sind
die Schüler Christi. Hingegen in der Aussage "Als Lots Frau zurückblickte,
wurde sie zu einer Salzsäule" (Gen 19.26) bedeutet es etwas Negatives,
denn Lots Frau verstößt gegen die ausdrückliche Anweisung
Gottes. Die Christen sind "das Salz der Erde", weil das Salz "die Neigung
zum Wahren" (HG 2455) bedeutet. Mit dem Interesse an der Wahrheit soll
die Erdenmenschheit gewürzt werden. Die (echten) Christen sind dieses
Salz, denn ihre Neigung ist Christus, die Wahrheit in Menschengestalt.
Dagegen stellt die zur Salzsäule erstarrte Frau Lots den Verlust
dieser Neigung dar (HG 2455). Die Wasser der Sintflut bezeichnen die Überschwemmung
des Geistes mit falschen Vorstellungen. Die lebendigen Wasser Christi
hingegen bezeichnen das Erfülltwerden mit der Wahrheit durch den
Heiligen Geist (Joh 7.38). Berge bezeichnen in der Regel die erhabenen
Zustände der Liebe, können aber auch ein Bild des Hochmuts sein
(vgl. HG 795), so, wenn der Herr spricht: "Ich will Berge und Hügel
zur Wüste machen" (Jes 42.15). Eine Wüste bezeichnet normalerweise
etwas Negatives, nämlich die Verwüstung des Guten und Wahren,
kann aber auch einen positiven Sinn haben. So heißt es von der Frau
in der Offenbarung des Johannes: "Die Frau aber floh in die Wüste,
wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte." (Offb 12.6). Hier bezeichnet
die Wüste offenbar den Ort der Bewahrung. Die Frau ist das Gottesvolk.
Wüste bedeutet, daß - vom Standpunkt der Welt aus beurteilt
- einer neuen Kirche keine Überlebungschanche eingeräumt wird.
Diese Verkennung ist aber gerade der Schutz vor weltlichen Nachstellungen.
So gibt es zahllose Beispiele. Das Bild an sich ist wertneutral. Erst
im Kontext erhält es ein Vorzeichen, das der Exeget beachten muß.
Die Bilder der Alltagssprache als Fundgrube der Entsprechungskunde
Die gewöhnliche Redeweise ist reich an Bildern und somit ein Reservoir
des Entsprechungswissens. Diese Tatsache erklärt Swedenborg so: "Das
Inwendige einer Sache ist manchmal auch in den Worten der menschlichen
Rede enthalten, weil es der Geist des Menschen ist, der denkt und den
Sinn von Worten der Rede wahrnimmt. Der Geist des Menschen befindet sich
auch in einer gewissen Gemeinschaft mit den Geistern und Engeln, die in
den Urbegriffen (principiis) der Worte sind." (HG 3869). Die Entsprechungssprache
ist allen Engeln geläufig. Aber auch schon vor dem Tod hat der Mensch
eine gewisse Gemeinschaft mit den Engeln und daher eine gewisse Kenntnis
ihrer Sprache, was der Bildreichtum der Alltagssprache beweist, den jeder
ohne weiteres versteht. Swedenborg macht sich diesen Umstand hin und wieder
für seine Deutungen des inneren Sinnes nutzbar.
"Warm ums Herz werden" bedeutet lieben, folglich entspricht das Herz
der Liebe. Daher auch die Redewendung "jemanden an sein Herz drücken"
oder "seinem Herzen Luft machen" und ähnliches. Die Wärme bezeichnet
nicht nur physikalische Wärme, sondern auch Herzenswärme. Kälte
ist hingegen auch ein Bild für Gleichgültigkeit, Gefühlsarmut
und Empfindungslosigkeit. Augen bezeichnen den Verstand, daher rühren
Wendungen wie "seine Augen überall haben" oder "wie Schuppen von
den Augen fallen". Und wenn wir etwas verstanden haben, ist uns "ein Licht
aufgegangen". Die Ohren bezeichnen den Willen und somit den Gehorsam (vgl.
HG 2542). "Jemanden übers Ohr hauen" heißt betrügen, also
gegen seinen Willen zu etwas veranlassen. "Jemanden in den Ohren liegen"
bedeutet, ihn durch andauerndes Bitten belästigen. Ein ungehorsames
Kind kann "nicht hören". Bäume bezeichnen Einsichten. Wer "den
Wald vor lauter Bäumen nicht sieht", erkennt in der Wissensfülle
das offensichtliche Ganze nicht mehr. Der Wald, auch das Dickicht, bezeichnet
geistige Zusammenhänge, oft undurchsichtig. "Einen alten Baum soll
man nicht verpflanzen" bedeutet einen alten Menschen soll man in seiner
gewohnten Umgebung lassen. Hier ist der Baum ein Bild für den Menschen
hinsichtlich seiner Kenntnisse. In seiner gewohnten Umgebung kennt er
sich aus; in einer fremden Umgebung würde er nicht mehr Wurzeln schlagen
können. Weil Bäume Einsichten und Vorstellungen bezeichnen,
ist dafür gesorgt, daß "die Bäume nicht in den Himmel
wachsen". In seiner Vorstellung wäre man zwar gerne der reichste
Mann der Welt oder Miß Universum, aber alles hat seine Grenze. Diese
Himmel bleiben dem Normalbürger unerreichbar. Die massenhafte Abholzung
der Wälder berührt unseren Geist vielleicht auch deswegen so
eindringlich, weil er darin ein Bild des Kahlschlags der geistigen Erkenntnis
erblickt. Wo man nur noch die Materie und das Geld anbetet, wird die Erde
(= der äußere Mensch) wieder "wüst und leer" (Gen 1.2).
Der Wind bezeichnet das Wirken des Geistes, weswegen in den alten Sprachen
Wind und Geist ein- und dasselbe Wort ist. "Sich den Wind um die Ohren
wehen lassen" bedeutet daher Lebenserfahrung gewinnen. Der Wind ist hier
die im Leben wirksame Kraft. Sie zeigt sich in allen Lebensverhältnissen,
doch nirgens kann man sie festnageln, nur verstehen kann man sie, wenn
man sich "den Wind um die Ohren wehen läßt", d.h. sich dem
Leben willig (Ohren!) öffnet. Der Sturm bezeichnet ein aufgewühltes
Gemüt. Wolken bezeichnen eine gewisse Verschattung des Lichtes. "In
den Wolken schwebt man", wenn man sich phantastischen Vorstellungen hingibt
und somit nicht auf dem Boden der Tatsachen steht. Wer die Wahrheit nicht
beachtet "baut auf Sand" und "fällt aus allen Wolken". Wein ist Wahrheit,
weswegen "in vino veritas" ist. "Jemandem reinen Wein einschenken" bedeutet,
ihm die reine, ungetrübte Wahrheit sagen. Deswegen behielt die katholische
Kirche sich selbst den Abendmahlswein vor, weil sie ihren Schafen nicht
gestattete, das reine Wort Gottes zu lesen. Stattdesen mußten sie
sich mit dem Brot der Frömmigkeitspraxis begnügen. Doch der
Durst nach Erkenntnis wird immer mächtiger. Niemand läßt
sich mehr morsche Dogmen vorsetzen. Und weil der Papst das ahnt, rührt
er sich auf der "cathedra petri", dem Stuhle der Unfehlbarkeit, kaum noch.
Das Bett bezeichnet das Lehrsystem, in dem der Geist verharrt. "Wie man
sich bettet, so schläft man auch" heißt deswegen wie man sein
Leben gestaltet, so muß man es auch ertragen. Das Bett ist die Ruheposition
des Geistes und der Schlaf das irdische Leben. Die meisten verbringen
ihr Traumleben im Bette des Materialismus und wollen am liebsten nie erwachen.
Schade um diese Nachtlarven! Nur wenige haben sich in das Bett einer Hochreligion
gelegt und sehnen sich nach dem kommenden Tag, an dem die Sonne endlich
alle Schatten des irdischen Lebens aufhellen und die anscheinend so zufällig
gewürfelten Lebensverhältnisse erleuchten wird. Dann werden
wir die Handschrift des Geistes in allen Buchstaben unserer Lebensbahn
lesen können.
Wir wollen uns nun mit einer wichtigen Struktur in der Heiligen Schrift
beschäftigen, der von Swedenborg so genannten "Ehe des Guten und
Wahren". Wenn man nämlich weiß, daß sich alles im Wort
entweder auf Gutes oder Wahres bezieht, kann man bei den zahlreichen Wiederholungen
in der Heiligen Schrift eine erste, grundsätzliche Zuordnung vornehmen.
Die Doppelstruktur in der Heiligen Schrift
In der Heiligen Schrift besteht "eine Ehe des Guten und Wahren" (WCR
248-253). D.h. sie enthält Wiederholungen von Motiven und viele Wortpaare,
wobei sich der eine Bestandteil dem Guten (und Bösen) und der andere
dem Wahren (und Falschen) zuordnen läßt. Dabei muß man
natürlich wissen, daß die Begriffe "Gutes" und "Wahres" bei
Swedenborg eine sehr weite Bedeutung haben. Diese Eigenschaft der Heiligen
Schrift können wir zum Zwecke ihrer Deutung nutzen, indem wir nämlich
einfach zuordnen und somit erste Aufschlüsse über den inneren
Sinn gewinnen.
Der Ursprung der Doppelstruktur ist das Wesen Gottes, das ja selbst
Liebe und Weisheit ist und selbstverständlich die innere Struktur
des Wortes Gottes prägt. Eine andere Betrachtungsweise sieht in der
bereits oben dargestellten Themendualität - der Herr und sein Reich
- den Ursprung der Doppelstruktur. So gesehen bezieht sich der geistige
Sinn hauptsächlich auf die Kirche und der himmlische auf den Herrn
(WCR 248). Die beiden Betrachtungsweisen ergänzen einander, denn
die Dualität in Gott führt zum Dual in der Schöpfung, das
sich der Herr in seiner Braut, der mater ecclesia bereitet hat. In Gott
ist die Weisheit das Weibliche, weil die Liebe durch die Weisheit all
ihre Gedanken verwirklicht. Außerhalb Gottes ist es die Kirche,
weil sich der Herr durch die Kirche Kinder heranzieht.
Das Gute und Wahre sind die Universalien der Schöpfung: "Alles
im Weltall, was der göttlichen Ordnung gemäß ist, bezieht
sich auf Gutes und Wahres" (NJ 11). Und da die Heilige Schrift die göttliche
Ordnung selbst ist, ist sie geradezu der Inbegriff der dualen Einheit
des Guten und Wahren.
Betrachten wir zur Verdeutlichung die Urgeschichte, Genesis 1 bis 11.
Dabei werden wir erkennen, daß die Doppelstruktur keine Randerscheinung,
sondern ein durchgehendes Gestaltungsprinzip ist und somit eine wichtige
Verstehenshilfe.
Die Urgeschichte behandelt das Schicksal der Ältesten und der Alten
Kirche. Schon das ist eine Dualität von Liebe und Weisheit, denn
die Urkirche bezeichnet das Himmlische der Liebe und die Alte Kirche das
Geistige des Glaubens.
Doch die Doppelstrukturen gehen noch viel weiter. Alle Vorkommnisse
werden zweimal erzählt, und zwar: 1.) Die Schöpfungsgeschichte
in Genesis 1 und 2. Der erste Bericht beschreibt die Wiedergeburt (= Schöpfung)
des geistigen Menschen, daher die Gottesbezeichnung Elohim (Gottheit)
verwendet wird. Der zweite Bericht beschreibt die Vollkommenheit des himmlischen
Menschen, daher der Name Jahwe auftaucht. Elohim weist stets auf Geistiges
und Jahwe auf Himmlisches. Die Gegenwartstheologie sieht in der Verwendung
der beiden Gottesnamen einen Himweis auf zwei verschiedene Quellen, aus
denen neben anderen die Mosebücher zusammengesetzt sein sollen. Diese
These wird mit Macht vertreten, obwohl bislang keine einzige Quelle in
Form einer Handschrift tatsächlich gefunden wurde. Swedenborgs Erklärungen
könnten den historisierenden Ansatz überflüssig machen.
2.) Die Sündenfallgeschichte wird doppelt erzählt, in Genesis
3 und 4. Im ersten Bericht versündigt sich der Mensch gegen den Herrn
und im zweiten gegen seinen Nächsten. Daher bezieht sich der erste
Bericht auf Himmlisches (bzw. dessen Verkehrung) und der zweite auf Geistiges.
Die Schlange im Garten Eden beschreibt den stärker werdenen Sinnesreiz,
der den Tod der himmlischen Liebe heraufbeschwört. Der Brudermord
beschreibt den Tod der geistigen bzw. Nächstenliebe. Die Ursünde
ist der Abfall vom Herrn, die Folgesünde das Desinteresse am Mitmenschen.
3.) Es gibt zwei Genealogien mit übrigens sehr ähnlichen Namen:
die Nachkommen Kains und die gesegnete Linie Adam-Seth. Die Kainskinder
bezeichnen die Entfaltung des kalten Verstandesprinzips. Seth ist der
Ersatz für Ahbel (= Hauch), der die opferbereite Liebe darstellt.
Die Sethlinie bezeichnet daher die Verwirklichung der Liebe unter den
Bedingungen der Sünde. Die erste Linie bezieht sich auf Geistiges
und die zweite auf Himmlisches. 4.) Die Sintfluterzählungen ist in
sich dermaßen zweigeteilt, daß sie der modernen Theologie
als Musterbeispiel für die Verarbeitung zweier Quellen dient. Zweimal
wird erzählt: Das Verderben der Menschen (6.5 und 6. 11-12), der
Entschluß zur Vernichtung (6.7 und 6.13), der Auftrag zum Besteigen
der Arche (7.1-3 und 6. 18-21), das Besteigen der Arche (7.7 und 7.13),
das Kommen der Flut (7.10 und 7.11), das Umkommen der Geschöpfe (7.22f
und 7. 20f), das Ende der Flut (8.2b,31 und 8.3b-5) und die Verheißung
des Nichtwiederkehrens der Flut (8.21b-22 und 9.17). Diese Zweiteilung
wird jedoch auch ohne Quellenscheiderei verständlich, wenn man weiß,
daß im geistigen Sinn die Spaltung des menschlichen Geistes in Bewußtsein
und Unbewußtes beschrieben wird. Oder - wie Swedenborg sagt - die
Trennung des Verstandesmäßigen vom Willensmäßigen,
das gegenwärtig das Meer des Unbewußten darstellt. Der Mensch
verdarb sein Wollen so sehr, daß es untergehen mußte. Heute
ist der Geist des Menschen nur noch aus Begierden und dem Unvermögen,
einsichtig zu werden, zusammengesetzt. Von einem echten freien Wollen
kann keine Rede mehr sein. Weil also der Sintflutbericht die Trennung
des Geistigen vom (verdorbenen) Himmlischen zum Thema hat, ist er ein
Doublettenstück par exellence. 5.) Schließlich wird auch die
Ausbreitung der Menschen über die Erdoberfläche zweimal erzählt:
in der Völkertafel (Genesis 10) und in der Turmbauerzählung
(Genesis11). Der erste Bericht bezieht sich auf Willensausrichtungen und
der zweite auf Verstandes- bzw. Sprachgestaltungen. Demnach kann man in
der gesamten Urgeschichte die Zweigliedrigkeit des Wortes nachweisen.
Die Doppelstrukturen sind aber nicht nur in den großen Erzählzusammenhängen
beobachtbar, sondern gehen bis in die Einzelheiten der Wortwahl und Satzgestaltung.
Häufig findet man Wortpaare. Darin ist der Bezug des einen Wortes
auf Geistiges und des anderen auf Himmlisches genau festgelegt, so daß
man geradezu von Signalwörtern für Geistiges oder Himmlisches
sprechen kann: "Wer im inneren Sinn ist, kann sofort - aus einem einzigen
Wort - wissen, wovon die Rede ist; mehr noch kann er es aus der Verknüpfung
mehrerer Wörter wissen. Denn wenn von etwas anderem die Rede ist,
sind sofort andere Wörter da oder dieselben in anderer Verknüpfung.
Es gibt nämlich besondere [Signal]wörter für das Geistige
und besondere für das Himmlische bzw. für das Verständige
und für das Wollende." (HG 793; vgl. a. 621). Diese Wortpaare kann
jeder selbst beobachten. Einige häufig vorkommende Beispiele sind:
"Bruder und Genosse, arm und dürftig, Wüste und öde, Leere
und Leerheit, Feind und Wiedersacher, Sünde und Missetat, Zorn und
Grimm, Völkerschaft und Volk, Freude und Fröhlichkeit, Trauern
und Weinen, Gerechtigkeit und Gericht. Die Bedeutung dieser Ausdrücke
scheint jeweils gleich zu sein, in Wirklichkeit ist dies jedoch nicht
der Fall. Bruder, arm, Wüste, Leere, Feind, Sünde, Zorn, Völkerschaft,
Freude, Trauern und Gerechtigkeit beziehen sich auf das Gute, bzw. - im
entgegengesetzten Sinn - auf das Böse. Die Ausdrücke Genosse,
dürftig, öde, Leerheit, Wiedersacher, Missetat, Grimm, Volk,
Fröhlichkeit, Weinen und Gericht beziehen sich hingegen auf das Wahre
und - im entgegengesetzten Sinn - auf das Falsche." (WCR 250).
Besonders ausgeprägt sind diese Doppelstrukturen in der Poesie
des Alten Testaments. Sie gelten als die Eigenart der hebräischen
Poesie, die weder Versmaß noch Endreim kennt und daher den Gedankenreim
anwendet. Das ist sicherlich richtig. Jedoch ist der tiefere Sinn dieser
auffallenden Erscheinung die Ehe des Guten und Wahren. Bei Jesaja ist
die Wiederholung des Gedankens sehr auffallend: "Bei den Propheten, vor
allem bei Jesaja, sind fast überall zwei Ausdrücke für
jeden Sachverhalt vorhanden. Der eine schließt dann das Geistige,
der andere das Himmlische in sich." (HG 590; vgl. auch 2212). Deswegen
möchte ich zwei Texte aus dem Prophetenbuch Jesaja vorstellen. Der
Schrägstrich gliedert die Wiederholung des Gedankens. Zunächst
ein Wehruf über ungerechte Richter. Im inneren Sinn ist von der Verwüstung
der Kirche die Rede: "Weh denen, die unheilvolle Gesetze erlassen / und
unerträgliche Vorschriften machen / um die Schwachen vom Gericht
fernzuhalten / um den Armen meines Volkes ihr Recht zu rauben, / um die
Witwen auszubeuten / und die Weisen auszuplündern. / Was wollt ihr
tun, wenn die Strafe naht, / wenn das Unwetter von fern heraufzieht? /
Zu wem wollt ihr flüchten, um Hilfe zu finden, / wo euren Reichtum
verstecken? / Ihr werdet euch unter Gefangenen (am Boden) krümmen
/ und werdet unter Erschlagenen liegen. / Doch bei all dem läßt
sein Zorn nicht nach, / seine Hand bleibt ausgestreckt." (Jes 10. 1-4)
. Das zweite Beispiel ist das Lied vom Weinberg. Es handelt von der Sorge
des Herrn für seine Kirche. Was tut der Herr nicht alles, damit der
Mensch endlich die erwünschte Frucht bringt?! Doch der Mensch will
von sich selbst nicht lassen: "Ich will ein Lied singen von meinem geliebten
Freund, / ein Lied vom Weinberg meines Liebsten. / Mein Freund hatte einen
Weinberg / auf einer fruchtbaren Höhe. / Er grub ihn um und entfernte
die Steine / und bepflanzte ihn mit den edelsten Reben. / er baute mitten
darin einen Turm / und hieb eine Kelter darin aus. / Dann hoffte er, daß
der Weinberg süße Trauben brächte, / doch er brachte nur
saure Beeren." (Jes 5.1-2). Der Weinberg bezeichnet die geistige Kirche.
Der geliebte Freund bzw. der Liebste ist der Herr, dessen Fürsorge
dahin geht, den Menschen der Kirche mit dem Guten und Wahren zu erfüllen.
Ständig wechselt das Lied vom Geistigen zum Himmlischen und umgekehrt,
was man jedoch nur erkennen kann, wenn man die Signalwörter des Geistigen
und Himmlischen kennt. So ist der Weinberg ein Wort des Geistigen, die
fruchtbare Höhe hingegen ein Wort des Himmlischen. Die Steine sind
ein Wort des Geistigen, hier des Falschen, das entfernt werden muß;
die edelsten Reben dagegen sind ein Wort des Himmlischen. Der Turm als
Aussichtspunkt bezieht sich auf das Wahre, das die Dinge von einer höheren
Warte betrachtet; die Kelter wiederum steht für das Gute, das aus
dem Wahren hervorgebracht wird usw. Ständig wird dem Betrachter des
geistigen Sinnes die wechselseitige Einheit des Guten mit dem Wahren und
des Wahren mit dem Guten vor Augen geführt. Und er kann daraus tiefe
Einsichten über den göttlichen Einfluß in seine Seele
gewinnen.
Auch die Vokale des hebräischen Textes sollen Hinweise geben, ob
von geistigen oder himmlischen Dingen die Rede ist. Man lese z. B. HG
793 und WCR 278. Ich konnte das jedoch bisher aus Zeitgründen noch
nicht nachprüfen.
Das Wissen um die Bezogenheit des Guten auf das Wahre und umgekehrt
ist bei der Auslegung des inneren Sinnes von Nutzen. Zugleich ist das
ein Weg, die Quellentheorien zu überwinden, die ohnehin auf schwachen
Füßen stehen. Denn welchen Sinn haben die vermuteten Quellen,
wenn es auch andere Möglichkeiten gibt, die Erscheinungen im Text
zu erklären? Manche Motive werden auch mehr als zweimal erzählt,
was jedoch keineswegs gegen die Verbindung des Guten und Wahren im Wort
spricht, denn die Motivforschung ist ein ganz anderes Gebiet. Die Verbindung
des Guten und Wahren beschreibt die Struktur des Wortes. Die Motivforschung
vergleicht Geschichten ähnlichen Inhalts. Das Motiv der Gefährdung
der Ahnfrau taucht in der Genesis gleich dreimal auf; zweimal ist es von
Abraham (Gen 12 und 20), einmal von Isaak (Gen 26) ausgesagt. Auch Swedenborg
sieht das: HG 2498. Aus der Fülle der Motive nur einige weitere Beispiele:
die Unfruchtbarkeit der Mutter; Bruderpaare, meist mit Konflikt; Berufungen;
Traumoffenbarungen und Theophanien; Rettung durch einen charismatischen
Führer; Begegnung am Brunnen und zahlreiche weitere Motive.
Scheinbarkeiten und Widersprüche in der Heiligen Schrift
Gottes Wort ist der menschlichen Vorstellungskraft angepaßt.
Daher redet es in menschlicher Weise von göttlichen Dingen: "Obwohl
die Glaubenslehre in sich göttlich ist und somit die Fassungskraft
der Menschen wie auch der Engel übersteigt, ist das Wort nach menschlicher
Fassungskraft in vernunftgemäßer Weise eingegeben (dictata)
worden. Das ist wie mit Eltern, die ihre Kinder belehren und dabei alles
nach deren geistigen Fähigkeiten auseinandersetzen, obgleich sie
selbst inwendiger und höher denken. Verhielten sie sich nicht so,
wäre es ein Lehren ohne Lernerfolg oder wie Samen auf Felsen werfen."
(HG 2533). Dessen muß man sich bewußt sein, sonst qualifiziert
man das Wort wegen seiner schlichten, ja naiven Vorstellungen ab. Auf
der Suche nach dem göttlichen Sinn gilt es die menschliche Redeweise
geistig zu durchdringen. Gottes Wort ist eine Schule des geistigen Denkens.
Deswegen ist der Mensch aufgefordert, sich des allzu Irdischen seines
Denkens bewußt zu werden. Nicht verwerfen soll er das Wort, wenn
es ihm hier und da ein Stein des Anstoßes ist, denn nicht das Wort
liegt falsch, sondern das menschliche Denken ist verkehrt. Betrachtet
man mit diesem Bewußtsein die Arbeit mancher Literaturkritiker,
dann muß man sagen: sie befolgen gerade die umgekehrte Regel. Sie
versuchen das Wort nach ihrem Sinn zurechtzubasteln, anstatt es - so wie
es ist - stehen zu lassen und ihren eigenen Sinn nach dem Sinn im Worte
auszurichten. Eine Grundregel der geistigen Deutung lautet nämlich:
Suchet nicht das Wort im Sinne, sondern den Sinn im Worte! Wem das Wort
wichtiger ist als seine eigene Meinung über das Wort, hat alle Chancen,
mit Hilfe des Wortes sein eigenes Denken zu überwinden. Scheinbarkeiten
und Widersprüche wollen uns Anlaß sein, dieses Wagnis einzugehen.
Einer der Bereiche der angepaßten Redeweise ist die Vermenschlichung
Gottes. Zwar ist Gott der eigentliche Mensch, sonst hätte er den
Menschen ja nicht "nach seinem Bilde" (Gen 1.27) schaffen können,
aber so menschlich-allzu-menschlich, wie die Heilige Schrift ihn darstellt,
ist er denn doch nicht: "Von Jehova wird im Wort oft Erbitterung, aufbrausender
Zorn und Wut ausgesagt. Aber das sind menschliche Eigenschaften; sie werden
Jehova lediglich zugeschrieben; weil es so scheint:" (HG 357). Traut man
den Worten der Heiligen Schrift, dann ist die menschliche Eigenschaft
des Zornes dem Herrn sehr vertraut, denn sie plagt ihn auch (Ex 32.11,
Num 32.14). Es bedarf paradoxerweise gerade der Fürsprache eines
Menschen, um den Herrn vor einem Zornausbruch zu bewahren (Ex 32.11ff).
Tatsächlich läßt er daraufhin von seinem voreiligen Entschluß
ab und bereut die geplante Untat (Gen 6.6, 1. Sam 15.11). Eine rechte
Freude über sein Tun will sich bei ihm offenbar nicht einstellen.
Ständig mißrät ihm etwas. Da kann man seine Zorneswallungen
gut verstehen. Aber er ist ja selbst Schuld daran, denn obgleich er sich
ja kennen müßte und wissen sollte, wie maßlos er sich
erregen kann, ist er selber derjenige, der die Menschenkinder versucht
(Gen 22.1, Ex 20.20, Dtn 8.2). Vielleicht sind sie ja auch nur sein Spielzeug.
Denn wie ein richtiger kleiner Despot hat er sich auf dem Staubkorn Erde
einen Gegenstand seiner närrischen Liebe geschaffen, das auserwählte
Volk, Israel. Ganze Völker müssen aus Liebe zu Israel über
die Klinge springen (Dtn 7.1). Sie werden einfach ausgerottet. Dieser
Gott ist kein Gott der Liebe, sondern der Vorliebe (Mal 1.2f).
Irgendetwas stimmt mit diesem Gott nicht! Will man ihn nicht verwerfen,
dann muß man wohl zwischen dem Gott an sich und dem Gottesbild des
Alten Testaments unterscheiden. Dieses Bild ist zeitgenössisch; es
besteht - wie wir heute sagen würden - fast nur aus Projektionen.
Der Mensch sieht eben immer nur sich selbst, und die reine Gotteserkenntnis
muß ihm förmlich untergeschoben werden. Die Projektionen müßen
abgetragen werden wie die Staubschicht von einem alten Gemälde. Auch
das gehört zur Arbeit eines Exegeten. Dabei kommt ihm die Heilige
Schrift selbst zur Hilfe, denn obgleich das Gottesbild teilweise recht
beschränkt ist, gibt es immer wieder Einstreuungen, die zu denken
geben, ja, im Widerspruch zum bisherigen Befund stehen. Wir sprachen soeben
von der Reue Gottes. Nun kann man aber auch lesen: "Auch lügt der
nicht, der Israels Ruhm ist, und es gereut ihn nicht, denn er ist nicht
ein Mensch, daß ihn etwas gereuen könnte." (1. Sam 15.29).
Damit ist Reue als menschlicherAffekt und - sobald von Gott ausgesagt
- als Projektion entlarvt. Ebenso sieht es mit allen Religionsvorschriften
aus, die des wahren Gottes samt und sonders unwürdig sind. Denn welchen
Sinn soll es haben, zur Ehre Gottes Tiere zu schlachten? Kann der wahre
Gott wirklich ein Wohlgefallen an all den Brand- und Schlachtopfern haben?
Heute würde ihm wahrscheinlich der Tierschutzbund einen Strich durch
die Rechnung machen, der ja seine Stimme auch dann erhebt, wenn weit weniger
als die Ehre Gottes auf dem Spiel steht, ein neues Kosmetikum zum Beispiel.
Aber auch im Alten Testament hinterfragt man bereits den Opferkult: "Hat
der Herr an Brandopfern und Schlachtopfern das gleiche Gefallen wie am
Gehorsam gegenüber der Stimme des Herrn? Wahrhaftig, Gehorsam ist
besser als Opfer, Hinhören besser als das Fett von Widdern." (1.
Sam 15.22). Das Opfer von Tieren ist eine äußere und zudem
rohe Handlung, deren innerer Sinn das Opfer des Herzens ist, die Hingabe
der Seele an den Herrn. Hätte man dieses Wort Ernst genommen, dann
hätte man den Opferkult schon viel früher überwinden können.
Das Festhalten an ihm ist also nicht im Herrn, sondern im Menschen begründet.
Selbst im Christentum spielt der Opfergedanke noch immer eine zentrale
Rolle, und zwar in der Kreuzestheologie. Wollte Gott wirklich das blutige
Opfer seines Sohnes? Auch die Beschneidung, das Zeichen der Zugehörigkeit
zum Gottesvolk, wird schon im Alten Testament in ihrer tieferen Bedeutung
erkannt, dort nämlich, wo von der Beschneidung des Herzens die Rede
ist: "Beschneidet euch für den Herrn und tut weg die Vorhaut eures
Herzens, ihr Männer von Juda und ihr Leute von Jerusalem, auf daß
nicht um eurer Bosheit willen mein Grimm ausfahre wie Feuer und brenne,
so daß niemand löschen kann." (Jer 4.4; vgl. auch Dtn 10.16
und 30.6). Der gesamte Kultgottesdienst erweist sich somit als Anpassung
Gottes an das Bewußtsein der gefallenen Welt. Sie kann die Anbetung
Gottes eben nicht besser verstehen.
Swedenborg beobachtet die Vermenschlichungen Gottes natürlich auch.
Gleichzeitig gibt er Hinweise, wie man sie durchdringen kann: "Der Herr
verflucht niemand, zürnt niemand, führt niemand in Versuchung,
straft niemand." Wenn dies dennoch hin und wieder im Wort gesagt wird,
dann "damit man glauben kann, daß der Herr das gesamte Weltgeschehen
bis in alle Einzelheiten hinein regiere und ordne, sogar das Böse,
die Strafen und die Versuchungen. Und wenn man diese höchst allgemeine
Vorstellung einmal aufgenommen hat, dann kann man auch lernen, wie der
Herr regiert und ordnet, daß er nämlich das Übel der Strafe
und der Versuchung zum Guten wendet. Die Ordnung des Lehrens und Lernens
im Wort geht von ganz allgemeinen Vorstellungen aus, weswegen der Buchstabensinn
mit solchen höchst allgemeinen Anschauungen angefüllt ist."
(HG 245). Obwohl die buchstäbliche Aussage streng genommen falsch
ist, ist die allgemeine Vorstellung, die darin transportiert wird, richtig.
Dem geistigen Erkennen bleibt es vorbehalten, den Rahmen richtig auszufüllen.
Mitunter muß man einfach das Tun des Herrn als Folge des eigenen
menschlichen Fehlverhaltens verstehen. Das ist ja typisch für Projektionen,
daß man andere und letztlich Gott für das eigene Unglück
verantwortlich macht: "Oft begegnet einem im Wort die Vorstellung, daß
Jehova verderbe. Aber im inneren Sinn versteht man darunter, daß
der Mensch sich selbst verderbe, denn Jehova oder der Herr verdirbt niemanden."
(HG 2395). Noch heute glauben viele, die Hölle sei das Verdammungsurteil
Gottes. Das ist falsch! Die Hölle ist vielmehr die letzte (bittere)
Konsequenz der menschlichen Freiheit. Nicht Gott will die Hölle,
der Mensch will sie.
Aber nicht nur die negativen menschlichen Eigenschaften werden auf Gott
übertragen, sondern auch die positiven. Und doch stellen auch sie
nur eine Annäherung an das göttliche Wesen dar und sind sonach
auch nur Scheinbarkeiten. Ein Beispiel ist "die Barmherzigkeit des Herrn":
"Niemand kann wissen", was sie ist, "weil sie das ganze menschliche Verständnisvermögen
unendlich übersteigt. Aber was menschliche Barmherzigkeit ist, kann
ein Mensch wissen: Sie besteht darin, etwas zu bereuen und Seelenschmerz
zu empfinden. Wenn der Mensch nun nicht eine Vorstellung von der Barmherzigkeit
[des Herrn] aus einer bekannten Regung erhielte, dann könnte er keinen
Gedanken fassen und nicht unterwiesen werden." (HG 588).
Neben den Scheinbarkeiten findet man auch zahlreiche Widersprüche.
Sie sind Swedenborg immer wieder ein willkommener Anlaß, auf die
Existenz eines verborgenen, inneren Sinnes hinzuweisen. Heute versucht
man diese literarischen Brüche meist zu klären, indem man verschiedene
Quellen annimmt. Es gibt allerdings auch schon wieder andere Ansätze,
namentlich im englischsprachigen Raum.
Einige Unstimmigkeiten will ich dem Leser vorstellen: 1.) Am ersten
Tag sprach Gott: "Es werde Licht!" (Gen 1.3). Doch erst am vierten Tag
kann er sich entschließen, Sonne und Mond zu erschaffen. Frage:
Welches Licht hat drei Tage lang geleuchtet? Das muß selbst für
die Menschen des Altertums ein gellender Widespruch gewesen sein. 2.)
Nach biblischer Zählung ist Kain der dritte Mensch und der erste
ordentlich Geborene. Mit seinem Weib - woher sie kommt wird nicht gesagt
- zeugt er Henoch. Und dann baut er eine Stadt. Für fünf Menschen?
(vgl. HG 403). 3.) Die Sintflut: Vierzig Tage lang regnet es (Gen 7.12
und 17), aber hundertfünfzig Tage lang nehmen die Wasser auf Erden
zu (7.24). nach 6.19f soll Noach von allen Tieren je ein Paar in die Arche
nehmen, nach 7.2f jedoch von allen reinen Tieren je sieben Paare und von
allen unreinen Tieren je ein Paar (vgl. HG 717). In 7.8f ist dann aber
ausdrücklich gesagt, dsß von den reinen und unreinen Tieren
je ein Paar in die Arche geht. Die Zahlenangaben passen also überhaupt
nicht zueinander. Das gilt übrigens auch für andere Zahlenangaben
in der Heiligen Schrift, wie z.B. Jahreszahlen. Offensichtlich war der
Kalender noch nicht erfunden. 4.) Nach der Sintflut pflanzt Noach einen
Weinberg und trinkt sich erst 'mal einen an. Nackt und im Vollrausch liegt
er in seinem Zelt. Ham entdeckt die Blöße seines Vaters. Doch
offenbar ist Noach nach seinem Erwachen noch etwas umnebelt, denn nicht
Ham, sondern Kanaan wird wegen des Frevels verflucht. (vgl. HG 1093).
5.) Die Völkertafel in Genesis 10 setzt die Existenz von Babel bereits
voraus (10.10), doch erst ein Kapitel später, in der berühmten
Geschichte vom Turmbau, wird Babel gebaut (vgl. HG 1283). Die Reihe solcher
Widersprüche ließe sich fortsetzen. Sie sind Stolpersteine,
die zum Nachdenken anregen sollen. Wer freilich von der Göttlichkeit
der Bibel kaum noch überzeugt ist, wird durch solche Beobachtungen
vollends aus der Bahn gebracht. Hier gilt das Wort: "Wer da hat [den Glauben
nämlich], dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird
auch das genommen werden, was er hat." (Lk 19.26).
All das zeigt, daß die Heilige Schrift nicht nur das reine Gotteswort
ist, sondern der Mensch ein Wörtchen mitzureden hatte. Die Heilige
Schrift ist gewissermaßen in sich ein Dialog zwischen Gott und Mensch.
Diesen Dialog gilt es wahrzunehmen, um das göttliche Kind von den
Windeln zu befreien. Denkanstöße gibt es genug; es sind die
Widersprüche in der Schrift, an denen jeder zugrunde geht, der sie
mit den Milchzähnen seiner Logik zerkleinern will.
Sonstige Hilfsmittel der Entsprechungskunde
Die Kenntnis der Ursprachen erleichtert das Studium des inneren Sinnes,
denn alles Geistige hat seine Grundlage im Natürlichen. Erst wenn
man den ursprachlichen Sinn der verwendeten Begriffsbilder kennt, ist
der Weg zur Erforschung des inneren Sinnes geebnet. Außerdem ist
jede Übersetzung eine Interpretation. Das wäre freilich noch
hinnehmbar, wenn die Übersetzer den natürlichen und geistigen
Sinn verstünden. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Daher schleichen
sich Übersetzungsfehler ein, die den Zugang zum inneren Sinn zusätzlich
erschweren. Ein Beispiel: In der Turmbauerzählung heißt es:
"wajehi benos'am mikkedem" (Gen 11.2). Luther (Revision 1984) übersetzt:
"Als sie von Osten aufbrachen". Hermann Menge übersetzt: "Als sie
nun nach Osten hinzogen". Martin Buber übersetzt: "Da wars wie sie
nach Osten wanderten". Leonard Tafel (Swedenborianer) übersetzt:
"Und es geschah, daß sie von Osten auszogen". Und die englische
Revised Standard Version hat: "And as men migrated from the east". Dieser
Überblick zeigt, daß sich die Übersetzer nicht einig sind,
wohin die Reise geht: "nach Osten" oder "von Osten"? Im hebräischen
Urtext steht "mikkedem", was eindeutig "von Osten" bedeutet. Wenn sich
dennoch immerhin drei von sechs Übersetzungen für "nach Osten"
entscheiden, dann hat das wohl seinen Grund in der geographischen Situation.
Das babylonische Weltreich lag östlich von Kanaan, also zog man "nach
Osten". So einfach ist das! Da die Turmbauerzählung jedoch noch zu
den "gemachten Geschichten" (HG 1020) gehört und lediglich eine geistige
Realität beschreibt, darf man dem Urtext getrost Vertrauen schenken
und mit "von Osten" übersetzen. Nur das ergibt geistig betrachtet
Sinn, denn der Osten bezeichnet den Herrn und die Entfernung von Osten
bedeutet die Abkehr vom Herrn. "kadmah" - ein Wort derselben Wurzel wie
"kedem" (Osten) - bedeutet Ursprung.
Wer mit der Tücke von Übersetzungen nicht vertraut ist, wird
sich bei den fehlerhaften Lesarten die Zähne ausbeißen und
den geistigen Sinn nur deswegen nicht finden, weil der Buchstabensinn
verdorben ist. Ebenso gibt es zahlreiche weitere Fehler. Eine gewisse
Abhilfe schafft der Vergleich verschiedener Übersetzungen. Dann findet
man wenigstens die neuralgischen Punkte.
Die Kenntnis der Ursprachen gibt ferner einen Einblick in die Mehrdeutigkeit
der Begriffe. Swedenborg verweist gelegentlich darauf: z.B. HG 841, 908,
996, 1179, 2455, und 2525f.
Auch die Namen der Personen und Orte haben eine Bedeutung. Martin Buber
setzt daher dort, wo der Name eingeführt wird, neben dem hebräischen
Namen die deutsche Übersetzung. So steht neben Isaak "Er lacht" (Gen
17.19), neben Esau "Rauher" (Gen 25.25), neben Jakob "Fersehalt" (Gen
25.26) und neben Israel "Fechter Gottes" (Gen 32.29). Ebenso bei Orten:
Neben Babel steht "Gemenge" (Gen 11.9) und neben Bethel "Haus der Gottheit"
(Gen 28.19).
Abschließend noch einige Lehrbücher und Nachschlagewerte.
Das beste Lehrbuch der Entsprechungskunde sind für mein Empfinden
"die himmlischen Geheimnisse". Hier wird der Schüler Gottes sogleich
mit der Deutung eines großen Erleuchteten vertraut gemacht. Ohne
theoretische Vorrede werden die ersten beiden Bücher Mosis Vers für
Vers und Wort für Wort ausgelegt. Freilich ist das Studium dieses
Werkes nicht einfach. Am besten wählt man sich eine Geschichte seines
Interesses aus und studiert die innere Bedeutung eingehend. Das Verständnis
für Entsprechungen wird wachsen, wenn man dies häufiger macht.
Eine Theorie der Entsprechungskunde ist - wenn überhaupt - in den
Werken "Himmel und Hölle" (87-115) und "Die Göttliche Liebe
und Weisheit" (Gradlehre: 173-281) enthalten.
Ferner gibt es Entsprechungslexika. In deutscher Sprache: William L.
Worcester, "Die Sprache der Gleichnisse" und der "Index" in der "Erklärten
Offenbarung". In englischer Sprache ist das Angebot reichhaltiger. In
den beiden folgenden Werken sind sehr viele Originalstellen ausgewertet:
Alice Spiers Sechrist, "A Dictionary of Bible Imagery" und das "Dictionary
of Correspondences, Representatives and Significatives". Swedenborg selbst
hat keine Entsprechungslexika geschrieben, wohl aber einige Indizes hinterlassen,
die sich in diesem Sinne verwenden lassen. Es gibt davon aber keine deutschen
Übersetzungen.
Bleibt mir nur noch übrig, jedem viel Erfolg beim Studium der Sprache
Gottes zu wünschen, denn Gott der Herr will nicht auf Dauer tauben
Ohren predigen. Möge der Geist Gottes doch endlich in der Seele erwachen.
Der Weg ist geebnet, nun muß er nur noch beschritten werden.
veröffentlicht in:
OT 5 (1992) 176-192, OT 6 (1992) 210-219, OT 1 (1993) 26-38
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